Die Geschöpfe des Prometheus

Ballettmusik, 1801

Aus den erhaltenen Skizzenheften Beethovens können wir ablesen, daß der Komponist an seiner einzigen Ballettmusik während der Entstehung von Werken wie der Frühlingssonate (op. 24) und den beiden Klaviersonaten op. 27 (Nr. 2 die sogenannte Mondscheinsonate) gearbeitet hat. Die Originalpartitur ist nicht erhalten, wohl aber eine autorisierte Abschrift, die unter dem Titel

Ballo serio.
Die Geschöpfe des Prometheus.
Composto dal Sig. Luigi v. Beethoven.
in der kaiserlich-königlichen Hofbibliothek aufbewahrt wurde.

Die einzelnen Teile des Balletts bietet diese Abschrift in folgender Reihenfolge:
  • Ouvertüre

  • Introduktion

  • I. Akt

  • Poco adagio Der Sturm der Introduktion, der »Schöpfungsakt«, hat sich gelegt. Wir sehen zwei »Geschöpfe des Prometheus«, aus Lehm geformt, die zum Leben erwachen.
  • Adagio - Allegro con brio Doch sie sind noch unbeseelt - und versuchen zu fliehen.
  • Allegro vivace Prometheus kann sie wieder einfangen.

  • II. Akt
  • Maestoso - Andante Prometheus bittet auf dem Parnaß die neun Musen, die drei Grazien, Bacchus und Apollo, seinen Geschöpfen Leben einzuhauchen.
  • Adagio - Andante quasi allegretto Geleitet von Apollo (Cello), beginnt Euterpe zu musizieren (Flöte), mit den Halbgöttern Musikern Orpheus (Klarinette), Amphion (Harfe) und Arion IFagott) will sie die Figuren die Musik lehren.
  • Un poco adagio - Allegro Prometheus' Geschöpfe beginnen zu tanzen.
  • Grave In einem zeitgenössischen Programm heißt es: »Als die Kinder vor Prometheus treten, erkennen sie in ihm den Gegenstand ihrer Dankbarkeit und Liebe, stürzen vor ihm nieder und umarmen ihn. « Terpsichore und die Grazien lehren sie daraufhin zu tanzen.
  • Allegro con brio - Presto Bacchus und sein Gefolge nähern sich kämpferisch. Viganos Kritiker meinten, dies sei eher eine Szene des Mars als eine des Wein-Gottes; Beethoven treibt mit Paukenschlägen das Geschehen voran und sorgt im d-Moll-Mittelteil für brisante dramatische Zuspitzung.
  • Adagio - Allegro molto Melpomenes »Memento mori« - ein ausdrucksvoll gesteigertes, tief empfundenes Orchester-Tableau als inhaltliches Gegengewicht zu Prometheus' Sturm, der am Beginn des Balletts steht.
  • Pastorale: Allegro Tanz des Pan.
  • Coro di Gioja: Andante
  • Solo di Gioja: Maestoso - Allegro Soli für Viganòs jungen ersten Solo-Tänzer Gaetano Gioia.
  • Terzettino, Grotteschi: Allegro Pas de trois für drei weitere Solo-Tänzer der Wiener Compagnie - in grotesken Masken.
  • Solo della Cassentini: Andante - Adagio - Allegro - Allegretto Solo für die Primaballerina Maria Ca(s)sentini.
  • Coro e Solo di Viganò: Andantino - Adagio - Allegro Solo für den Ballett-Chef.
  • Finale: Allegretto - Allegro molto Im Finale erklingt unter anderem jener Kontretanz, den Beethoven später für eine Reihe von Klavier-Variationen (op. 35) und dann im Finale seiner Eroica wieder verwendet - was den Variationen op. 35 später den Titel Eroica-Variationen einträgt.

    Über die Reihenfolge der Entstehung der vier »Auftritte« des Themas in Beethovens Schaffen herrscht keine Einigkeit unter den Beethoven-Forschern. Nottebohm behauptete, das Ballett sei vor dem Kontretanz entstanden, Thayer vertritt die Gegenteilige Ansicht - jedenfalls sind die Variationen nach dem Ballett und die Eroica nach den Variationen komponiert worden.


  • Inhaltsangabe des Balletts nach der zu Lebzeiten publizierten Biographie des Choreographen Viganò.

    Die Menschen des Prometheus oder:
    Die Macht der Musik und des Tanzes.

    Verfolgt durch den heftigen Zorn des Himmels, welches Gelegenheit zu einem geräuschvollen musicalischen Vorspiel gibt, kommt Prometheus durch den Wald gelaufen zu seinen beiden Thonstatuen, denen er eiligst die himmlische Flamme aus Herz bringt.
    Während er nach Vollendung der Arbeit müde und bekümmert sich auf einen Felsen legt, erlangen jene Leben und Bewegung, und werden dann in Wirklichkeit, was sie scheinbar waren, Mann und Frau (Salvatore selbst und die vortreffliche Casentini).
    Prometheus fährt erschrocken auf, sieht sie mit Freude an, lädt sie mit väterlicher Liebe zu sich ein, kann aber durchaus kein Gefühl in ihnen erwecken, welches den Gebrauch der Vernunft zeigte: im Gegentheil lassen sich jene, anstatt sich zu ihm zu wenden, indolent auf die Erde fallen neben einem hohen Baume (sollte dieser etwa die Eiche bedeuten, deren Früchte die unver- meidliche Nahrung der ersten Menschen waren?).

    Er wendet sich wiederum zu Liebkosungen und überzeugenden Worten; jene aber, welche den bessern Theil des Menschen, die Vernunft, nicht besitzen, verstehen seine Worte nicht und werden darüber verdrießlich, und versuchen dann mit täppischen Drehungen und Windungen sich zu entfernen. Hierüber betrübt, versuchte es der Titan noch mit Drohungen, und da dieselben nichts helfen, wird er unwillig und will sein Werk wieder zerstören; doch eine innerlich vernommene höhere Stimme hält ihn davon ab; er kehrt zu seiner ersten Empfindung zurück und indem er zu erkennen gibt, daß ein neuer Plan in ihm entstanden ist, erfaßt er die beiden und schleift sie mit sich fort.

    Der zweite Act spielt auf dem Parnaß: es treten auf Apollo und die Musen, die Grazien, Bakchus, Pan und Gefolge, dann Orpheus, Amphion und Arion als Menschen, die künftig geboren werden sollen und mit einem kühnen Anachronismus hier eingeführt werden.
    Der Hof des Apollo zeigt bei Eröffnung der Scene ein schönes Bild dieser poetischen Figuren. Man bemerke, daß der Choreograph an dieser Stelle weder Musik noch Tanz im Besonderen will; dieselben treten erst bei dem neuen Auftritt jener ersten Personen als besondere Mittel ein. Diese Bemerkung gilt für alle ähnlichen Fälle. Prometheus kommt, um dem Gotte seine Kinder vorzustellen, damit es ihm gefalle, dieselben in den Künsten und Wissenschaften zu unterrichten.

    Auf den Wink des Phöbus schickt sich Euterpe, von Amphion unterstützt, zu spielen an, und bei ihren Weisen beginnen die beiden jungen Wesen Zeichen von Vernunft und Überlegung zu geben, die Schönheiten der Natur zu sehen und menschliche Affecte zu fühlen.

    Arion und Orpheus verstärken die Harmonie mit ihren Cithern, und schließlich auch der Gott selbst. Die neu Geschaffenen tummeln sich hierhin und dorthin, und als sie vor Prometheus angelangt sind, erkennen sie in ihm den Gegenstand ihrer Dankbarkeit und Liebe, stürzen sich vor ihm nieder und umarmen ihn leidenschaftlich.

    Hierauf kommt Terpsichore mit den Grazien und Bakchus mit den Bakchanten, und führen (mehr für das Gefolge des Mars geeignet) einen heroischen Tanz auf. Die Geschöpfe des Prometheus widerstehen den Antrieben des Ruhmes nicht und wollen, nachdem sie die Waffen aufgerafft haben, am Tanze theilnehmen.

    Da tritt aber Melpomene dazwischen und stellt den erstaunten Wesen eine tragische Scene vor, indem sie ihnen mit dem Dolche zu erkennen gibt, wie der Tod die Tage des Menschen beschließt.

    Indem sie jene darüber in Entsetzen bringt, stürzt sie zu dem erstaunten Vater, macht ihm Vorwürfe, daß er die Elenden zu solchem Unglücke geschaffen habe, und glaubt ihn mit dem Tode nicht zu hart zu bestrafen; worauf sie ihn, den seine mitleidigen Geschöpfe vergebens zurückhalten, mit dem Dolche tödtet.

    Diesen Kampf unterbricht Thalia durch eine komische Scene, indem sie den beiden Klagenden ihre Maske vor das Gesicht hält, während Pan an der Spitze seiner Faune den getödteten Titanen wieder ins Leben zurückruft, und so endet mit festlichen Tänzen das Stück.

    ↑DA CAPO