1807
Mit seiner ersten Mess-Komposition trat Beethoven in die Fußstapfen seines Lehrers Haydn. Der hatte als Kapellmeister der Fürsten Esterházy als berühmter Mann nur noch eine Verpflichtung: Jahr für Jahr war zum Namenstag der Fürstin eine Festmesse zu komponieren. So kam die Welt in den Besitz sechs großer Messkompositionen Joseph Hadns. Doch 1807 fühlte sich der Meister längst zu schwach, um seines Amtes zu walten. Beethoven war der Mann der Stunde. Fürst Esterházy gab ihm den Auftrag. Es entstand eine der eigenwilligsten, für die zeitgenossen höchst befremdliche Vertonung des Ordinarium Missae.

An seinen Verleger schrieb der Komponist:
»Von meiner Meße wie überhaupt von mir selbst sage ich nicht gerne etwas, jedoch glaube ich, dass ich den Text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt worden ...«
Das bemerkten auch die Zeitgenossen. Das Namensfest der Fürstin, einer geborenen Liechtenstein, war der 8. September. Beetehoven selbst dirigierte die Uraufführung am darauffolgenden Sonntag, dem 13. September in der Schloßkapelle Eisenstadt. Der Fürst soll danach bemerkt haben:
Ja, mein lieber Beethoven, was haben sie denn da wieder gemacht?
Tatsächlich hatte sich der Ausdrucksmusiker am Gehalt des Mess-Textes entzündet, von der flehentlichen Bitte der Gläubigen im Kyrie und im Agnus Dei bis zum jubelnden Lobpreis Gottes im Gloria und im Sanctus spannt sich ein beeindruckender Bogen höchster musikalischer Expression. Beethoven selbst charakterisierte die hintergründige Vielfalt und Unmittelbarkeit seiner Musik in seinem Brief an den Verleger:
»... in dem Kyrie ist innige Ergebung, wahre Innigkeit religiöser Gefühle >Gott erbarme dich unser ohne deswegen Traurig zu sejn, sanftheit liegt dem Ganzen zu Grunde, ... obwohlen >eleison erbarme dich unser — so ist doch heiterkeit im Ganzen, Der Katholike tritt sonntags geschmückt festlich heiter in seine Kirche das Купе eleison ist gleichfalls die Introdukzion zur ganzen Messe, bej so starken ausdrüdken würde wenig übrig bleiben für da, wo sie wirklich stark sejn Müssen.«
Stilistisch hält sich Beethoven an die Klangsprache seiner Sonaten und Symphonien der Reifezeit. Auch die Überraschungseffekte fehlen nicht, etwa am Beginn des Sanctus, das gegen die Tradition leise und mit magischen harmonischen Verwandlungen anhebt. Die im geistlichen Stil üblichen kontrapunktischen Passagen spart er in seiner Messe vor allem für die großen Fugen auf, die Gloria und Credo abschließen. Die Sätze des Werks verknüpft einheitsstiftend durch subtile motivische Anklänge. Im Agnus Dei greift er deutlich vernehmbar auf das Kyrie zurück und spannt auf diese Weise einen formalen Bogen. In Beethovens Schaffen reichen die Verbindungslinien noch viel weiter: Eine Passage aus dem Mittelteil des Krie taucht übrigens später in der Missa solemnis wieder auf.

↑DA CAPO