Ludwig van Beethoven   

Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68

1808

Bei der sogenannten „Sinfonia Pastorale“ scheiden sich die Geister.
Naturgemäß.
Keine andere Beethoven-Symphonie ist so von romantischem Deutungs-Kitsch überwuchert wie diese - was an den originalen „Programm"-Bildern liegt, die der Komponist den einzelnen Sätzen seines Werks mitgegeben hat.
Zwar schreibt er sicherheitshalber dazu: „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“.
Aber das hat wenig genützt.
Generationen von Hörern haben mit kindlicher Freude im zweiten Satz das Bächlein rauschen gehört und mit wonnigem Schauer die Donnerschläge des Gewittersturms über sich ergehen lassen.

Nun ist die „Pastorale“ gewiß kein tönendes Märchenbuch, wenn auch die Klangbilder dermaßen oberflächliche Deutungen zulassen. Der wahre Gehalt dieser Symphonie ist nicht minder tiefgründig - wenn man so will: nicht minder politisch - wie jener der kämpferischen Fünften.

Per aspera ad astra

Das „Per aspera ad astra“ wird in der F-Dur-Symphonie ebenso beschworen wie in der c-Moll-Symphonie, die in ein martialisches Zitat eines französischen Revolutions-Liedes mündet. Nur geht es in der Sechsten nicht um den Kampf des Individuums in der Welt, sondern um den inneren Kampf, der nötig ist, um mit sich selbst ins Reine zu kommen. Die "frohen und dankbaren Gefühle nach dem Sturm" lassen eine echte, seelische, geistige Befreiung hören: das Ziel der Reise, von dem wir bei der „Ankunft auf dem Lande“ eine Ahnung erhalten, ist nach dem Durchgang durch Reflexion (2. Satz), und irdische Freuden (3. Satz) sowie das reinigenden Gewitter, das die Konflikte mindestens so gewaltig ballt wie die entsprechenden Passagen der Fünften, erreicht.
Die großen Atemzüge des Finalsatzes könnten auch als ein religiöser Hymnus gehört werden - wie später die „Danksagung eines Genesenen an die Gottheit“ im a-Moll-Streichquartett. Jedenfalls haben Interpreten wie Karl Böhm (mit den Wiener Philharmonikern auf DG) und Otto Klemperer (Philharmonia auf EMI) den großen, dramatischen Steigerungsbogen und die Ernsthaftigkeit von Beethovens „Programm" innerhalb eines strengen architektonischen Baus erfaßt und magistral umgesetzt.

In jüngster Zeit haben Christian Thielemann (mit den Wiener Philharmonikern auf Sony) und Philippe Jordan (mit den Symphonikern auf deren eigenem Labe) zwei scheinbar diametral entgegengesetzte, inhaltlich aber nicht minder stringente Deutungen auf CD vorgelegt. Wobei Jordans Lesart auch von den Errungenschaften der Originalklang-Bewegung profitiert, deren Detailgenauigkeit und fließende Temporegie jedoch mit großer klanglicher Subtilität auf die „modernen" Instrumente anzuwenden weiß. Das Ergebnis ist die rascheste, aber in gewisser Weise auch die differenzierteste Aufnahme der "Pastorale" des Digitalzeitalters.



↑DA CAPO