Ludwig van Beethoven      

Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55

1803/04

Beethovens Dritte ist die Symphonie schlechthin - und ein Meisterwerk, um das sich Legenden ranken.

Schmale Orchesterbesetzung?

»Hier die Eroica?« - So lautet wohl die Standard-Frage jedes Musikfreundes, der einmal den so genannten »Eroica-Saal« im Palais Lobkowitz besucht und sich überlegt, wie in diesem verhältnismäßig kleinen, von mächtigen steinernen Wänden und Säulen nicht nur getragenen, sondern beinah erdrückten Raum eine Symphonie gespielt worden sein soll.

Die heute dem österreichischen Theatermuseum zugerechneten Räumlichkeiten des fürstlichen Palastes dürfen tatsächlich als Geburtsstätte von Beethovens Es-Dur-Symphonie gelten. Der Mäzen Lobkowitz hatte ein neues Werk bestellt. In seinem Palais sollte es erstmals erklingen. Zumindest haben einige der frühesten Aufführungen der Symphonie hier stattgefunden.

So, und nur so erklärt sich auch die von Verfechtern der so genannten Originalinstrumenten-Praxis gern ins Treffen geführte minimale Orchesterbesetzung, die 1805 zur Verfügung stand.

Mit geringsmöglichen Mitteln

Die vielen Versuche der Originalklang-Generation, die Symphonie in kleiner Besetzung zu realisieren, scheitern in der Regel schon am Mißverhältnis zwischen Saal und Orchesterbesetzung. Um einen klanglichen Eindruck vom ungewohnten (und für das Verfolgen des Stimmenverlaufs höchst aufschlußreiche) Verhältnis von Bläser- und Streicherstimmen im Falle einer Aufführung, wie sie im Eroica-Saal stattgefunden hat, zu gewinnen, ist vielleicht ein Versuch hilfreich, die Streicher gleich nur jeweils mit einem Musiker zu besetzen. Das hat das Ensemble Cristofori für eine CD-Produktion gemacht. Zu Studienzwecken ist das jedenfalls ein Fund! (avi)

Die erste öffentliche Vorstellung zu Beethovens Zeiten gab man dann mit weit größerem Musiker-Personal, versteht sich, denn man hat Besetzungen stets den Aufführungsorten angepaßt; im goldenen Musikvereinssaal (den es damals natürlich noch nicht gab) wäre kein Beethoven-Zeitgenosse auf die Idee gekommen, mit einem Instrumentarium anzutreten, wie heute historisch angeblich akribische Ensembles das des Öfteren tun.

Die »Monster-Symphonie«

„Vorstellung" ist übrigens das rechte Wort, denn etwas Theatralisches haftete der Aufführung der Eroica für die Zeitgenossen bestimmt an. Schon die Ausdehnung der Symphonie mutete für damalige Verhältnisse monströs an. Und erst recht der Gehalt. Beethoven spannt die symphonische Form hier bis zum Zerreißen; erst in der Neunten probiert er das so extrem aufs neue und im Chor-Finale, wie viele meinen, sogar mit vernichtendem Erfolg.

In der Eroica birst das Gefüge nicht.
Noch nicht.
Die Symphonie zeigt nur das erste Mal, wozu sie fähig ist und warum sie in der Folge die Ausdrucksform der klassischen Musik schlechthin werden sollte.

Formsprengung

Es war vielleicht ein halbes Jahrhundert her, da war die »Sinfonia« noch die knappe, dreiteilige Einleitung der italienischen Oper. Manche frühe Mozart-Sinfonie - hier mutet diese Schreibweise passender an als die »Symphonie« - kündet noch von dieser Verwendung; ja selbst über der quirligen Ouvertüre zum „Figaro" steht im Autograph noch „sinfonia".

Hans Weigel hat einmal recht passend angemerkt, daß zwar Joseph Haydn als erster bedeutender Meister der symphonischen Form gelten darf, daß aber erst mit Beethoven die Symphonie „so richtig da“ gewesen ist. Und daß ab der Eroica kein Komponist mehr irgendeine Symphonie Nummer soundso schreiben konnte, sondern immer »eine ganz bestimmte Symphonie« anbieten mußte.

Mythos Napleon

Die Historie des Es-Dur-Werks ist ja auch romanhaft: Widmung an Napoleon, Tilgung der Widmung, weil sich das einstige Idol zum Kaiser gekrönt hatte. Der glühende Demokrat Beethoven hatte also mehr als nur schöne Musik geschrieben. Er hatte eine Botschaft in seine Töne gepackt - mag sein, die Hörer begreifen sie mehrheitlich nur vage, doch sie fühlen bis heute nicht erst beim Einsetzen des Trauermarsches, daß sich hier Außergewöhnliches, Bedeutendes, wahrhaft Heroisches ereignet. „Tränenlose Trauer“ forderte einst Wilhelm Furtwängler von seinen philharmonischen Musikern ein, als sie allzu larmoyant ans Werk gingen.

Vorbild für Liszt, Wagner, Bruckner

Die äußere wie innere Größe dieser Komposition sichert der Eroica nach wie vor einen Sonderstatus in der Musikgeschichte. Beethoven eröffnet hier nicht nur ein neues inhaltliches Kapitel für die Musikgeschichte, die sowohl für die nachmaligen Streiter der viel gescholtenen „Programm-Musik" von Berlioz über Liszt bis Mahler epochemachend werden sollte, sondern auch für die „Absoluten" wie Brahms oder dessen Antipoden Bruckner. Und in ihrer Theatralik streckt Beethovens Musik ihre Fühler bis nach Bayreuth aus - ist es angesichts von Wagners Beethoven-Verehrung Zufall, daß Siegfrieds Trauermarsch im selben c-Moll anhebt und wie des Vorbilds „Marcia funebre“ einem ehernen Dur-Höhepunkt zustrebt? Es handelt sich dabei wohl um so bewußt gesetzte Zeichen wie bei Anton Bruckner, dessen Es-Dur-Symphonie, wiewohl als „Romantische" vordergründig so ganz anders geartet, einen c-Moll-Trauermarsch als zweiten Satz besitzt und ein ebenso gehaltvolles, gewichtiges Finale wie die Eroica.

Vorbilder, Vorlagen

Wobei Beethoven - der im Stirnsatz die Möglichkeiten des von Haydn und Mozart übernommenen „Sonatensatzes" so kräftig dehnt und strapaziert, daß aus dem architektonischen Muster ein neu rhythmisiertes zu werden scheint - sein Finale zum Urbild späterer großer Variationensätze geformt hat: Das unscheinbare, hübsche Thema findet sich bereits in einem frühen Tänzchen, wurde später zum Ohrwurm in der Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus und diente, von dort entlehnt, bereits für den Klavierzyklus op. 35 als Grundlage. Der heißt heute Eroica-Variationen, obwohl von der Symphonie damals noch keine Rede war. Mittlerweile ist sie also 200 Jahre alt; lange Zeit Reibebaum und unerreichbare Wegmarke für Komponisten, und ewige Herausforderung für Interpreten und Hörer.


Die Geheimnisse des Autographs

Das Manuskript der Dritten Symphonie Ludwig van Beethovens ist eines der bedeutendsten Stücke der Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. In den Neunzigerjahren des XX. Jahrhunderts wurde ein Faksimile dieser Handschrift zugänglich gemacht. Wer es studiert, erfährt manches über die Entstehung dieses Meisterwerks.

Das Exemplar ist eine unter Beethovens Aufsicht geschriebene Kopistenhandschrift, ergänzt durch sämtliche Originalstimmen, aus denen übrigens in Wien noch musiziert wurde, als Richard Wagner die Symphonie 1872 dirigierte.

Otto Biba, Leiter des Musikvereins-Archivs und Herausgeber der Edition, verweist auf den vielfältigen Wert dieses Unternehmens für wissenschaftliche und aufführungspraktische Zwecke. Vor allem hätte man mittels genauer Untersuchung des Materials anläßlich dieser Druckausgabe manche Details über die Aufführungsgeschichte erfahren. Im Finale finden sich etwa Takte, die Beethoven offenkundig nachträglich stark verändert hat. Möglicherweise erklang die »Eroica« ursprünglich sogar mit einem ganz anderen Schlußsatz!

Im übrigen scheinen sich die Legenden um die Widmung an Napoleon Bonaparte zu bestätigen. Tatsächlich spricht Beethoven ab dem Termin der Kaiserkrönung nicht mehr von einer Symphonie »auf Bonaparte«. So könnte sich auch das Loch auf der Titelseite der Partitur, das im Faksimile natürlich nicht fehlt, tatsächlich in der bekannten anekdotischen Form erklären: Beethoven hat die Widmung aus Wut herausgekratzt (→ Abbildung).

Aufnahmen

Von der „Eroica“, gibt es unzählige bedeutende Aufnahmen. Herausgegriffen seien einmal solche, die paradigmatisch für zeittypische Aufführungsgepflogenheiten sind: Unter Wilhelm Furtwängler kommt (mit den Wiener Philharmonikern, 1944) der einst viel zitierte „Titan Beethoven“ zu seinem Recht, aus der (oft atemberaubend zugespitzten) dramatischen Perspektive von Bayreuth beleuchtet, sozusagen, während beinah zur selben Zeit Hermann Scherchen mit einem aus Wiener Musikern zusammengestellten Orchester (für Westminster) ein Gegenbild entwirft, daskrasser nicht Furtwänglers Positionen hinterfragen könnte: Hier wird die Eroica zu einem stürmischen Bruder der frechen Ersten - hie und da geradezu tänzerisch leicht und vor allem im Kopfsatz und im Finale von einer an Geschwindigkeitsrausch gemahnenden Formel-Eins-Tempodramaturgie getragen, die auch vor brisanten Kurven nicht abbremst . . .

→ zur Originalklang-Frage

↑DA CAPO