Sonate As-Dur op. 110

1820

  • Moderato cantabile molto espressivo
  • Allegro molto
  • Adagio ma non troppo – Klagender Gesang. Arioso dolente – Fuga. Allegro ma non troppo


  • Ein wunderbar abgeklärter Gedanke beherrscht den Stirnsatz derAs-Dur-Sonate. Er wird akkordisch in den ersten Takten präsentiert und dann von einer behutsam entwickelten melodisehen Linie abgelöst, deren Fortgang sich zunächst in ganz dicht gewebten Akkordzerlegungen auflöst, die charakteristisch von Stakkati im Baß getragen werden. Die Melodie wird aber wieder aufgenommen und zu sanfter Ekstase gesteigert. Typisch für den späten Beethoven ist die Ausweitung des Tonhorizonts und die dialogische Führung von sehr hoch und sehr tief liegenden Stimmen.

    Mit der Wiederaufnähme des Eingangsmotivs über repetierenden Begleitfiguren setzt die Durchführung ein, die konzentriert mit modulierenden Sequenzen aus immer demselben Thema gebildet ist. Wo sich die Begleitbewegung im Baß zu rasanten Arpeggien steiaert, ist bereits die Reprise erreicht, die hier tonal reizvoll gebildet ist, führt sie von As-Dur doch nach cis-moll und E-Dur, rückt also lange Passagen in ein neues harmonisches Licht. Als ob sich die Musik in solchen Regionen zu verlieren drohte, rückt eine abrupte Modulation die Verhältnisse wieder zurecht. In As-Dur-Regionen zurück, formt sich der melodische Bogen diesmal ununterbrochen, und noch ein wenig kühner gesteigert als in der Exposition. Die duftigen Aktordzerlegungen, die den Verlauf zuerst unterbrochen haben, erscheinen diesmal kurz vor Schluß des Satzes, einem verträumten Ende zuführend.

    Ein fahriges f-moll-Scherzo steht an der zweiten Stelle. Es spielt den gleich zu Beginn etablierten Kontrast zwischen einer vorsichtig gleitenden und einer rabiat herausgeschleuderten Vanante des robusten Tanzmotivs aus. Die Musik schwankt zwischen Extremen, nimmt sich einmal behutsam zurück, bricht dann ungeschlacht wieder in Bewegung aus, zitiert einen darnals allerorten geträllerten Gassenhauer, kommt ins Stocken, im Zentrum (dem Trio) des Satzes dann in einem beschwingten, von einer langen, melodischen Tongirlande gebundenen Des-Dur-Tanz zu einiger Konsistenz. Die Rekapitulation des Scherzo-Abschnitts mündet in eine eigenwillige Coda, die aus der Ratlosgkeit des kühnen Nebeneinanders unversöhnlicher Charaktere die Konsequenz zieht und sich mit einem leise aus der Tiefe aufsteigenden, zerlegten F-Dur-Dreiklang gleichsam zur Hintertür hinaus empfiehlt.

    Was folgt ist eine von Beethovens heikelsten formalen Balanceakten als Finalsatz. Dramatischer Ausdruck, gepaart mit strengster kontrapunktischer Kunst zeigt den Ausdruckskünstler wie den Klangarchitekten auf der schwindelerregenden, höchsten Höhe seiner Kunst. Wie eine Opernszene gegliedert, führt uns zunächst ein Adagio in die Regionen musikalischer SeelenbeSpiegelung, verletzlich, zerbrechlich erklingt ein choralartig gesetztes, von verzehrenden Intervallen gekennzeichnetes Hauptmotiv, von einem freien, klagenden Rezitativ abgelöst. Ein großes Lamento hebt an. Von schwebenden Triolenakkorden der linken Hand geführt, deren Eintritt behutsam vorbereitet wird: Zuerst ein Ton, dann ein zweiter, dann die Ergänzung zum Dreiklang. Beethoven selbst wird dieses Muster später im Streichquartett op. 127 erneut verwenden - und Richard Wagner wird den Liebesgesang im Zentrum seiner Oper «Tristan und Isolde» ebenso beginnen; allerdings in As-Dur. Beethoven spannt über diese Klangfläche siebzehn Takte lang die expressivst modellierte Melodie, beginnt in as-moll, findet in dip Grundtonart der Sonate As-Dur zurück. Der Gesang verebbt mit einer Quartfolge, die vom folgenden Allegro aufgenommen wird und zu einem in charakteristischen Sprüngen vorantreibenden Fugen-Thema erweitert wird.

    Dem frei strömenden Gesang stellt Beethoven also die strengste Form gegenüber.

    Dreistimmig entwickelt sich das dichteste kontrapunktische Gewebe. Das Thema bleibt klar verfolgbar, erscheint fortissimo in dröhnenden Baßoktaven, gar um einige QuartSprünge erweitert, dann kunstvoll kanonisch enggeführt. Plötzlich bricht die Fuge jedoch ab, löst sich in eine Dreiklangszerlegung auf, die in langsamerem Tempo, eine Terz nach oben gerückt, eine Wiederkehr des Adagio-Klagegesangs in g-moll einleitet. Die Melodie verflattert diesmal in traurigen Seufzermotiven und mündet in eine machtvoll anschwellende Folge von Dreiklängen: Hell und klar ertönt das Fugenthema wieder diesmal in G-Dur und in gespiegelter Version. Die Quarten sind diesmal also fallend angeordnet. Der ersten Fugendurchführung folgt jedoch eine in großer Erregung vorangetriebene, hektisch veränderte Version des Themenschlusses. Das ahnt in jener Rückkehr zur Haupttonart den erlösenden Schluß voraus, den die grandiose Wiederkehr des Fugenthemas in seiner Originalgestalt hymnisch vorbereitet.

    ↑DA CAPO