Sonate E-Dur op. 109

1820

  • Vivace, ma non troppo – Adagio espressivo – Tempo I
  • II Prestissimo
  • Gesangvoll, mit innigster Empfindung. (Andante molto cantabile ed espressivo)


  • Mit einem der duftigsten Klangbilder Beethovens beginnt die E-Dur-Sonate, schwebend, fliegend, voll Anmut bewegen sich die Figuren, auf beide Pianistenhände verteilt. Ein Adagio unterbricht die zauberhafte Stimmung, beginnt espressivo einen vollgriffigen Gesang, der sich in Koloraturenrankwerk auflöst. Die schwebenden Figuren kehren zurück, wandern durch die Tonarten, finden zurück zu ihrem ursprünglichen Tonfall. Wieder der Adagio-Einschub - und das duftige Filigran des Anfangs zur formalen Abrundung. Nichts kann die abgeklärte Ruhe, über die Beethoven in seiner Spätphase auch gebietet, schöner versinnbildlichen als dieser Sonatenbeginn.

    II

    Ein wildes e-moll-Scherzo bildet den Mittelsatz, zunächst von gradlinigem Periodenbau bestimmt, dann phantasievoll weiter gesponnen und von kraftvollen Oktaven im Baß, dann in der Oberstimme abgeschlossen. Ein Trio inmitten, wie ein sanfter Choral über orgelpunktartigen Repetitionen entfaltet, ganz ruhig auslaufend; und eine forsche Kadenz nach der Scherzo-Replik.

    III

    In großer Ruhe, «gesangvoll und mit innigster Empfindung» vorgetragen, entfaltet sich danach das Liedthema des abschließenden Variationssatzes. Die regelmäßige Periodenbildung dieses Themas wird mit einer kleinen Ausnahme am Ende des letzten großen Steigerungsbogens den ganzen Satz über nie aufgegeben. Beethoven schreibt schlicht und behutsam wie selten zuvor, dafür aber mit einem unerreichten Raffinement an introvertierter Verwandlungskunst. Die erste Variation allein ist ein Kunstwerk für sich, setzt dem Thema ein neues, eine Terz höher situiertes entgegen, dem Vorbild eng verwandt, aber doch von Ton zu Ton anders verlaufend.

    Variation zwei löst das Lied in pointilistisch hingetupfte Einzeltone auf. Variation drei nutzt die harmonische Struktur des Themas, um darin ein prägnant gezeichnetes, aus rasanten Sechzehntelläufen und Staccato-Dreiklangszerlegungen gebildetes Miniatur-Scherzo abzuwickeln. «Etwas langsamer als das Thema» wechseln charakteristische Sechzehntelfiguren dann durch alle Stimmen und umgarnen ein neue, leidenschaftlich gesteigerte melodische Linie, die sich über geheimnisvoll zurückgenommene Akkordbrechungen hinweg strahlend entfaltet.

    Variation fünf spielt mit Assoziationen zu kontrapunktischen Kunstfertigkeiten á la Bach und stellt in dieser Sonate den einzigen Tribut an diesbezüglich reichhaltigen Aktivitäten in Beethovens Spätwerk dar. Ganz auf präimpressionistischen Klangzauber abgestellt ist die sechste Variation, die das Thema zunächst in schlichter Choralharmonisierung präsentiert, dann aber von Phrase zu Phrase bewegtere Gegenstimmen hinzufügt, bis diese sich zu Trillern in allen Stimmen verdichten. Bis zur äußersten Intensität schwillt der Gesang in dieser Variation an, ehe, bruchlos angefügt, das simple Thema noch einmal ertönt, ungeschminkt und schlicht, als Abschluß einer der hellsten, klarsten Sonaten-Schöpfungen der Klassik.

    ↑DA CAPO