Sonate A-Dur op. 101

1816

  • Etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung. Allegretto, ma non troppo
  • Lebhaft. Marschmäßig. Vivace alla Marcia
  • Langsam und sehnsuchtsvoll. Adagio, ma non troppo, con affetto
  • Geschwinde, doch nicht zu sehr, und mit Entschlossenheit. Allegro


  • Die Sonate, die der von Beethoven hoch geschätzten Pianistin Dorothea Ertmann gewidmet ist, erschien im Februar 1817 in Wien. In der Zeitunsannonce hieß es:
    Neue Original-Sonate für's Pianoforte von unserm mit Recht berühmten Herrn Ludwig van Beethoven
    Immerhin war seit sechs Jahren nur eine einzige Sonate erschienen. Es kam damats also durchaus einer Sensation gleich, wenn der »mit Recht berühmte« Meister ein neues Werk herausgab; übrigens wie das folgende Meisterstück, das davon seinen Namen erhielt, ausdrücklich «für das Hammerklavier», also die neueste Version des Pianofortes bestimmt. Beethoven verfaßte ein Widmungsschreiben an seine «liebe, werte Dorothea-Caecilia": «Empfangen Sie nun, was Ihnen öfters zugedacht war und was Ihnen einen Beweis meiner Anhänglichkeit an Ihr Kunsttalent wie an Ihre Person abgeben möge.»

    Vier Sätze hat das Werk, aber eine «normale» Sonate von klassischem Zuschnitt war von Beethoven schon lange nicht mehr zu erwarten. Vielmehr lassen schon die ersten Takte des Werkes keinen Zweifel über den emotionellen Gehalt der Musik aufkommen. Die Sonate beginnt mit einem schwärmerischen, immer höher sich wölbenden Gesangsthema, das in Wahrheit bis zum Ende des Satzes nicht mehr abreißt. Was die Vortragsbezeichnung verheißt, daß hier nämlich nur «etwas lebhaft», aber «mit der innigsten Empfindung» musiziert werden soll, das wird aufs schönste eingelöst. Selbst dort, wo die Melodie einer abschließenden Kadenz zuzustreben scheint, läßt Beethoven sie in sorgsam modellierten Übergängen nicht endigen, sondern führt sie auf neuer Ebene weiter. Akkordische Synkopen führen gar in einen durchführungsartigen Abschnitt, wo das Strömen der Melodie von Verarbeitungen des Motivmaterials getragen wird. Kurz vor Schluß sorgen heftig dissonierende Akkordgebilde für eine kurzfristige dramatische Ballung.
    Lyrisch strömend, wie er begonnen hat, endet der Satz.

    Ein bizarres «Vivace alia Marcia» schließt sich an, straff rhythmisiert und kontrapunktisch in etlichen fitigran verwobenen Stimmen diversifiziert. Das Trio ist vollständig durchimitiert, ein zweistimmiger Kanon in der Oktav sorgt dafür, daß auch harmonisch die seltsamsten Blüten treiben.

    «Langsam und sehnsuchtsvoll» erklingt ein Adagio, das aus dem sehnsuchtsvollen, eine Sext aufsteigenden Motiv eine wunderbar regelmäßige, achttaktige Melodie formt, dann aber mit den Sextsprung zu innigen imitatorischen Dialogen zwisehen beiden Stimmen nutzt. Der Satz ist mit Dämpfung zu spielen, erhält dadurch einen verschleierten, sehr verhaltenen Charakter. Ungedämpft, aber in zartestem Piano kehrt noch einmal die schmachtende Eingangsmelodie des ersten Satzes zurück - und führt uns in den jauchzenden Finalsatz, dessen stürmischer Erobererton nicht darüber hinwegtäuschen soll, daß er kontrapunktisch souverän und vielschichtig gearbeitet ist.

    Der späte Beethoven war fasziniert von barocken Imitations- und Fugentechniken. Schon das kraftvoll losspringende Hauptthema dieses Finalsatzes erscheint durchimitiert in beiden Stimmen. Die Durchführung beginnt dann vollends mit einer freien Fuge in C-Dur, die über die Paralleltonart a-moll zum Gmndton zurückführt. Das hochausgreifende, leidenschaftliehe Seitenthema bleibt auch in der Reprise nur Episode. Dafür schwingt sich die Coda zu einiger Humoristik auf, rennt sich doch zunächst der Schlußtakt des Hauptthemas staccato im Baß fest. während darüber Motivfragmente zersplittern. Zuletzt brodelt eine Trillerfigur im Baß, eine improvisatorische Variante des Themas strebt der Höhe zu - wie die sieben kräftigen A-Dur-Akkorde, die danach den Schlußpunkt setzen.

    ↑DA CAPO