Sonate Es-Dur op. 27/1

Jahr

  • Andante – Allegro – Tempo I – attacca
  • Allegro molto e vivace – attacca
  • Adagio con espressione – attacca
  • Allegro vivace – Tempo I – Presto


  • Die beiden Sonaten op. 27 erschienen 1802 gleichzeitig mit der „Trauermarsch“-Sonate op. 26 bei Cappi in Wien. Während letztere als „Grande Sonate“ bezeichnet wurde, hießen die Zwillinge op. 27 jeweils „Sonate quasi una fantasia“. Was in der vorgangegnangen As-Dur-Sonate bereits evident wurde, stellt Beethoven nun offiziell heraus: Seine Sonatenform nähert sich der Phantasie, legt sich nicht mehr auf überkommene Schemata fest. Sonate wird mehr und mehr zum Trägermedium für persönlichste Botschaften, Ausdrucksmusik. Die Romantik verschafft sich ihr Recht, und zwar just dort, wo die Musikgeschichtsschreibung den Höhepunkt der sogenannten „Wiener Klassik“ ansetzt.

    Neue Formwelten

    Schon die formale Einteilung der Es-Dur-Sonate kündet von völliger Freiheit des Ausdrucks gegenüber der musikalischen Architektonik. Zwei große Abschnitte, jeweils mehrfach untergliedert, ersetzen das gewohnte drei- oder viersätzige Prinzip. Liedhaft entrückt hebt das Andante an. Eine schlichte, akkordisch präsentierte Gesangmelodie wird von einer wie mit leichter Hand hingeworfenen Figur begleitet. Letzter macht sich im zweiten Teil des Gesangsthemas selbständig und drängt mit chromatisch geschärften Akzenten zu weiterer Entwicklung. Zunächst aber kalmiert Beethoven, setzt im liedmäßigen Duktus fort. Er beantwortet die abfallende Kadenz des Liedthemas mit einem aufsteigenden Gegenthema, das er sanft und mit allerlei lockeren Trillern versetzt als Mittelteil des Andante-Gebildes verarbeitet.

    Dann kehrt, leicht variiert, das Lied wieder. Allegro fährt ein Wirbelsturm dazwischen, ein kühn sich aufbäumendes neues, fremdes Element, das – wollten wir die überkommenen Formbegriffe anwenden – den zweiten Zwischensatz eines Rondos bildet, denn die Liedmelodie kehrt wieder, ganz harmlos, unverändert. Nur sind die Wiederholungen der beiden Abschnitte jetzt ausgeschrieben und bringen jeweils einen Stimmentausch: Die akkordische Melodie wandert in den Baß, die Begleitfiguren in die Oberstimme.

    Das Scherzo

    In einigen zögerlichen Überleitungstakten wird der zweite Teil des ersten Sonatenabschnitts vorbereitet: ein Scherzo. Dieses Molto allegro e vivace ist jedoch kein „neuer Satz“ ohne Verbindung zum Vorangegangenen.
    Im Gegenteil.
    Dem aufmerksamen Hörer entgeht wohl nicht, daß die aus der Tiefe aufsteigenden Unisono-Bewegungen direkte Verwandte der stürmischen Sechzehntelkaskaden sind, die zuerst das liedhafte Andante so brüsk unterbrochen haben. Die neue Gestalt dieses „Störenfrieds“ ist jedoch von C-Dur nach c-Moll gewendet und mündet in ein bärbeißig aus repetierten Staccatoakkorden herausgeschleudertes, in einen wilden Triller kulminierendes Trio. Die Scherzo-Reprise wartet mit neuen Überraschungen auf. Die rhythmischen Akzente verschieben sich, Synkopen sorgen für höchste Unruhe. Zuletzt landen wir zwar in C-Dur, aber die Kadenz gebärdet sich wild grimassierend.

    Das Adagio

    Unmittelbar schließt sich das Adagio in As-Dur an. Con espressione soll musiziert werden, schreibt Beethoven vor, um der Schlichtheit des Themas – nun ist es ein wirklich sangbares Lied – den nötigen Ausdruck zu sichern. Beinahe unverändert kehrt das Thema nach dem synkopierten Mittelteil wieder, geht in eine kühn geschwungene Kadenz samt ausführlichem Triller über, an die sich sofort das von fortwährenden Sechzehntelläufen getragene Allegro vivace anschließt. Das lebhafte Hauptthema kehrt nach einer später bedeutsamen, in Staccato-Oktaven geführten Gegenmelodie akkordisch wieder, zerstiebt in seine Bestandteile und macht einem um seine eigene Achse wirbelnden Sechzehntegedanken Platz.

    Die Oktaven kehren wieder und führen zur ersten Reprise des Themas. Eine Rondoform scheint sich anzubahnen, wird jedoch von starken druchführungsartigen Elementen durchbrochen. Das Oktavenstaccati führen uns durch die Tonarten, immer begleitet von dem seit Beginn des Satzes kaum abreißenden Kontinuum aus Sechzehntelfigurationen. Über eine Variante des sich um seine eigene Achse drehenden Motivs erreichen wir die Reprise. Zum Abschluß aber relativiert Beethoven noch einmal alle formalen Assoziationen. Rondo, Sonatenhauptsatz? Gleichviel: Es verschafft sich noch einmal die Adagio-Melodie Raum, wird erneut bis zur kadenzierenden Triller geführt – und findet jäh ein knappes Echo in den spritzigen Presto-Schlußtakten. Das „Achsenmotiv“ setzt den Schlußpunkt.

    ↑DA CAPO