Sonate B-Dur op. 22
Jahr
„Diese Sonate hat sich gewaschen.“ Mit diesen Worten pries Ludwig van Beethoven im Jahr 1801 sein in den beiden vorangegangenen Jahren entstandenes Opus 22 dem Leipziger Verleger Hoffmeister an. 1802 erschien sie als „Grande Sonate pour le Piano Forte composée et dédiée à Monsieur le Comte de Browne Brigadier au Service de S.M.J. de toute la Russie, par Louis van Beethoven.“
„Gewaschen“ hat sich das Werk gewiß im Vergleich zu den üblichen Dimensionen für Klaviersolowerke in jener Zeit. Die Ausdehnung der B-Dur-Sonate erreicht symphonische Ausmaße.
Schon der erste Satz zeugt sein Hauptthema in langen Atemzügen, entwickelt gleich große Formelemente. Zwei Anläufe eines Kopfmotivs, das mit seinen beiden Elementen, einer wirbelnden Sechzehntelbewegung und zwei Staccatoakkorden, wie gewohnt bei Beethoven, einen Gutteil des folgenden Themenmaterials hervorbringt. Die wirbelnden Figuren beherrschen zunächst, unterbrochen von einer weitausgreifenden, im wesentlichen von absteigenden Tonleiterfragmenten dominierten melodischen Linie, den Verlauf. Sie werden dann nach und nach von einer Terzenmelodik verdrängt, die sich dann zum Seitenthema in F-Dur verdichtet. Dessen keck rhythmisierte Wiederholung führt über heftig bewegte Passagen zur Schlußgruppe, die einige Zitate der Wirbelbewegung im halben Tempo bringt, kaum in ihrer Verwandtschaft zum Kopfmotiv kenntlich, das nur ganz zuletzt, nach fortissimo herausgeschleuderten Oktavengängen in seiner Originalgestalt den Schlußpunkt der Exposition setzt und auch den Durchführungsbeginn markiert und dann als Widerpart der von den Oktavgängen wieder aufgenommenen Staccato-Tonleitern die motivische Arbeit beherrscht.
Die Durchführung besteht im wesentlichen aus einem immer geheimnisvoller sich verdichtenden Diminuendo, das in ununterbrochener, aus dem Wirbelmotiv abgeleiteter Bewegung voranschreitet und auf einer Fermate zum Stehen kommt. Die Modulationsketten, die wir durchschritten haben, sind scheinbar absichtslos beim Dominantseptakkord der Haupttonart angelangt. Die Reprise verläuft denn auch entsprechend unspektakulär, klar und ohne neue Elemente.
„Gewaschen“ hat sich dann, um bei Beethovens Diktion zu bleiben, das Adagio con molta espressione, ein Stück romantischen Stimmungszaubers, wie Beethoven selbst ihn später in der „Szene am Bach“ in der „Pastoral“-Symphonie wiederaufnimmt. Manche Passage der Sonate erinnert an die spätere, bildhafte Symphonik. Freilich fehlt unserem Adagio die Abgeklärtheit dieses Schwesterstücks. Die weit geatmete Entwicklung bis hin zu den virtuosen Zweiunddreißigstelpassagen umfaßt zwar zwei Themen eines Sonatensatzes, ohne den melodischen Bogen merklich abreißen zu lassen. Sie wird aber im Durchführungsteil von geradezu schmerzhaft dissonanten Einschnitten unterminiert. Die Idylle trügt. Die stille, beschauliche Schönheit des Beginns wird in Frage gestellt.
Auch die harmlose Gebärde der ersten Takte des Menuetts, die bald geradezu ausgelassen hüpfend voraneilen, wird sogleich von seltsam brodelnden Figuren unterbrochen, denen jeweils kraftvolle Sforzato-Ausbrüche folgen. Harsch setzt Beethoven Kontraste, mit Verve gestaltet er auch einen beinahe brutalen, von ohne Unterlaß vorwärtsdrängenden Sechzehntelpassagen und scharfen Akkorden geprägten Moll-Mittelteil. Daß die kleine, von einem Vorschlag eingeleitete Figuration unmittelbar nach Beginn des Menuetts ganz deutlich als Übernahme aus dem Themenkopf des Adagios ist, verliert der Hörer angesichts der verwirrenden Ausdrucksvielfalt wohl schnell aus dem Sinn.
Daß auch das sanft fließende Rondothema mit manchen Versatzstücken früherer Sätze dieser Sonate verwandt ist, zielt ebenfalls auf architektonische Einheitlichkeit. Hier bleibt alles beständig im Fluß. Starke Kontraste werden nun vermieden. Selbst das Gegenmotiv wächst mit seinen Trillern nahtlos aus der Schlußkadenz des Rondothemas heraus, verfängt sich dann in eigenwilligen Arpeggiofiguren und synkopischen Einschüben, die sich leicht als verschleierte Zitate des Rondothemas dechiffrieren lassen. So überwuchern einander die Formteile, verschmelzen zu einem in sich vielfältig gegliederten, aber doch wie aus einem Guß gefertigten Ganzen. Faszinierend, wie nicht einmal die einstimmig verlaufenden, in immer neuen Ansätzen sich herantastenden Figurationen, aus denen dann nahtlos das Rondothema wieder herauswächst, diesen durchgehenden Faden der Komposition zerschneiden. Am Ende scheinen die verschlungenen Linien nach den letzten kraftvollen Akzenten in der Tiefe zu versickern. Die Schlußakkorde wirken, als könnten sie sich nicht entscheiden zwischen sanftem oder effektvollem Beschluß. Der Effekt siegt.
Am Ende dieser Sonate, die sich „gewaschen“ hat. In ihrer Vielfalt und Buntheit ist sie vielleicht wirklich eine der bemerkenswertesten Schöpfungen des frühen Beethoven.