Sonate E-Dur op. 14/1
Jahr
Die kleineren, etwa zur selben Zeit wie die „Pathetique“ entstandenen Sonaten in E-Dur und G-Dur nehmen in Beethovens Schaffen insofern eine Sonderstellung ein, als wir über sie im Gegensatz zu den meisten anderen Stücken auch interpretatorische Informationen haben. Der erste Biograph des Komponisten, Schindler, gibt eine detailierte Schilderung von Beethovens Rubatospiel, das offenkundig weitaus freizügiger mit dem Tempo umging, als heute üblich und von Lehrern und Stilisten „erlaubt“ war. Vielleicht werfen diese Tatsache – und Beethovens Aussage, die beiden Werke seien als „Dialog zwischen einem Mann und einer Frau“ zu verstehen – ein Licht auf den Charakter der Musik, die doch, verglichen mit der vorangegangenen c-Moll-Sonate, beim ersten Hinsehen so licht und problemlos wirkt.
Gibt man den einzelnen Versatzstücken der Komposition mehr inhaltliches Gewicht, dann werden auch die kleineren Sonaten des Opus 14 zu ausdrucksvollen Gebilden. Schon die chromatischen Ausweitungen, die das ruhig über pochenden Bässen fließende Hauptthema des Allegro-Satzes im E-Dur-Werk bald erfährt, weist der Musik durchaus expressive Qualitäten zu. Bald bleibt die melodische Linie sinnierend allein und entwickelt aus dem von etlichen Halbtönen durchsetzen, aufsteigenden Motiv das von einem eleganten Doppelschlag verzierte H-Dur-Seitenthema, das auf Grund seiner aufwärtsgewandten Textur innig mit dem Hauptthema verwandt scheint.
Die Durchführung bestreiten denn auch die ruhige, in Halben gehende Variante des Beginns und die durch Sekundschritte ausgeweitete, heftiger bewegte Gestalt, wobei die Baßstimme von den aus dem ersten Takt übernommenen, pochenden Achteln bald zu rasanten Sechzehntelzerlegungen übergeht.
Am Ende dieser Entwicklung steht der aus den Tiefen heraufsteigende Versuch, die Anfangssituation wiederzugewinnen. Eine der schönsten Reprisenvorbereitungen, die Beethoven geschrieben hat, kehrt zunächst das Spiel um: Die melodische Linie liegt im Baß, die pochenden Akkorde in der Oberstimme. Harmonisch bewegt sich die Musik zu diesem Zeitpunkt noch in Moll und gelangt erst in jenem Moment, da die rechte Hand wieder die Führung übernimmt, mit einer zauberhaften Modulation nach Dur zurück.
Die eigentliche Reprise setzt dann in bestätigendem Forte ein, von hochschießenden Sechzehntelpassagen der linken Hand unterlegt. Poetisch auch der Schluß des Satzes: Pianissimo wandern die Staccatoakkorde wieder in die rechte, die Intervallsprünge des Themas in die linke Hand. Die chromatischen Akzente kehren noch einmal wieder, ehe die Melodie wieder in die Höhe entschwebt.
Das ist Musik, die in ihrem Inneren – die chromatischen Schärfen lehren das – durchaus voll von Spannung ist. So wird auch klar, warum im von Beethoven beschriebenen „Dialog“ die E-Dur-Sonate das „bittende Prinzip“ vertritt. Auch der schlichte Beginn des dreiteiligen Allegrettos weist schon im dritten Takt eine dissonante, von einer Sforzatoanweisung zusätzlich betonte Schärfung auf und kommt während des gesamten ersten Abschnitts in e-Moll nicht zur Ruhe. Immer wieder sorgen harmonische Ausritte für Unruhe, bringen Fermaten die Entwicklung zum Stillstand.
Der C-Dur-Mittelteil bringt eine erste Antwort auf die „bittenden“ Fragen, gibt sich versöhnlich, bringt aber keineswegs eine endgültige Entspannung.
Das abschließende Rondo baut auf einem ähnlichen Formschema wie der Mittelsatz auf, dreht aber die Verhältnisse der Tongeschlechter um. Zwei Dur-Abschnitte umrahmen einen aufgewühlten e-Moll-Teil, der die Triolenbewegung, mit der der Satz im Baß beginnt, in die Oberstimme übernimmt und von Staccatobässen immer aufs neue anstachelt. Das Rondothema selbst ist vordergründig von harmlosem Zuschnitt.
Aber die Sechzehntelläufe, die es abschließen, machen sich bald selbständig und stiften Verwirrung: Nach der ersten Wiederkehr wendet sich das Thema selbst nach Moll, wonach die Sechzehntelbewegung heftig in den besagten, von wilden Triolen beherrschten Mittelteil hinüberführt. Faszinierend nach der zunächst mehr oder weniger regelrecht eintretenden Reprise, wie sich die letzte Wiederkehr des Rondothemas synkopisch verschiebt. Die aus dem Stirnsatz bekannt Chromatik kehrt am Ende wieder und sorgt für einen durchaus doppelbödigen Ausklang der Sonate.