Sonate D-Dur op. 10/3

Jahr

  • Presto
  • Largo e mesto
  • Menuetto. Allegro
  • Rondo. Allegro
  • Die weitausgreifende D-Dur-Sonate, bis dahin die umfangreichste Klaviersonate des Komponisten, demonstriert nebst vielem anderem aufs schönste, wie jämmerlich schulmäßige Formmodelle versagen, wenn es darum geht, innere Vorgänge klassischer Kompositionen zu erklären. Ein Sonatenhautpsatz ist das Presto zweifellos. Freilich: Wo finden wir das Seitenthema, in der H-Moll-Melodie, die sich gegen die frechen Staccato-Oktaven und deren ausgeweitete Wiederholung durchsetzt? Oder erst dort, wo die Dominante A-Dur erreicht wird. Und wäre das „Seitenthema“, das dort erklingt, nicht doch eher als verschmitzte Variante des Hauptthemenkopfes zu deuten?

    Beethoven geht in seiner Musik immer wieder von den simpelsten motivischen Bausteinen aus, destilliert aus diesen aber immer neue, überraschende, oft überwältigende Varianten. Besonders schön ist das am ersten Satz dieser D-Dur-Sonate zu studieren.

    Man verfolge lediglich die Entwicklung der beiden Elemente, aus denen die ersten Takte des Werkes gebildet sind. Zuerst eine über den Tonraum einer Quart absteigende Folge, dann eine raketenhaft aufwärtsschießende Tonleiter. Das genügt in Wahrheit, um einen riesenhaften Sonatensatz lang – der längste, den Beethoven bisher komponiert hat – für Spannung zu sorgen. Schon die unmittelbar folgenden Takte der Komposition sind in allen Stimmen ausschließlich aus Wiederholungen, Verkürzungen und Erweiterungen dieser beiden Versatzstücken zusammengesetzt.

    Das h-Moll-Gegenmotiv beginnt zwar mit einem Terzsprung, der jedoch sogleich von dem Quartfall beantwortet wird. Der Hörer entkommt in der Folge den beiden Motiven nicht mehr.

    Der Rest der Exposition, die alles andere ist als eine Bestätigung für die lang nach Beethoven aufgestellten Gesetze einer regelrechten Sonatensatzform, gibt sich als durchführungsartiges Spiel, in dem die beiden Prinzipien, das aufsteigende und das absteigende, fortwährend gegeneinander gesetzt werden, bis sich der Quartfall, ob in zarter Pianoform in der Oberstimme oder vervielfacht abstürzend in den Bässen, endgültig durchsetzt.
    Die Durchführung
    Im Gegenzug beherrscht das aufsteigende „Raketenthema“ die gesamte Durchführung. Beethoven schickt es modulierend durch die Tonarten und setzt dann brüsk nach einer Fermate mit der Reprise ein. Diese wird von einer Coda abgelöst, die zauberhaft mit der Verwandtschaft der beiden so gegensätzlich wirkenden Grundmotive spielt. Tatsächlich bestehen sie beide aus Tonleitersegmenten, das eine absteigend, das andere in die Höhe strebend. Daraus läßt sich ein hübscher Dialog formen, der das eine rasch als Spiegelbild des anderen entlarvt. Dieserart spielerisch aufgeräumt geht das Presto zu Ende.

    Wie eine Antithese nimmt sich das folgende Largo e mesto aus. Es soll unter dem Eindruck der Lektüre von Goethes „Egmont“ enstanden sein und die Episode von Klärchens Tod musikalisch beschreiben. So wollen es jedenfalls Beethovens erste Biographen aus dem Mund des Komponisten überliefert haben. Der Tonfall diese d-Moll-Satzes ist jedenfalls lastend und trauerverhangen, durchsetzt von hoch auffahrenden Gesten und scharfen harmonischen Rückungen. Nicht einmal die so tröstlich anhebende F-Dur-Passage inmitten bringt echte Entspannung. Auch sie ist von leidenschaftlichen Aufwallungen und grellen Dissonanzen durchzuckt. Hart gegeneinandergesetzte dynamische Extreme geben dann auch der Wiederkehr des d-Moll-Abschnitts ihr Gepräge. Die Musik wirkt bis zuletzt fahrig und verzweifelt. Unter mysteriösen Arpeggien versucht das Hauptthema zuletzt seinen harmonischen Halt wiederzufinden. Nachdem die Ausgangstonart wiedergefunden ist, scheinen sich die Motive ins Nichts aufzulösen.

    Heitere Züge herrschen dann wieder Im Menuett. Beethoven durchsetzt die altertümelnde Form mit kontrapunktischen Kunststücken und umspielt die wirbelnden Triolen im Trio mit einer Paraphrase des Menuett-Themas, das die rechte Hand abwechseln in den Baß und – die Triolen der rechten überspringend – in den Diskant führt.

    Verhältnismäßig kurz nimmt sich im Vergleich zum gewichtigen Beginn der Sonate das Finalrondo aus. Es kommt recht unschuldig daher, weiß zunächst kaum anzusetzen, entfaltet dann aber eine kapriziöse Bewegungslaune, die des öfteren in improvisatorische Gestaltungslust ausartet. Ob wir die zweite Episode mit ihren ab-, dann wieder aufsteigenden Dreilangszerlegungen als intervallisch geweitete Reverenz vor dem Hauptthema des ersten Satzes werten dürfen, muß Spekulation bleiben. Vor allem spielt Beethoven in diesem Finale mit dem kurzen Eingangsmotiv, das zweimal ansetzen muß, um Gestalt zu gewinnen. Es kehrt in der Folge in wechselnder Gestalt wieder, einmal trotzig herausgestellt, dann heimlich in umgekehrter Tonfolge. Von geheimnisvollen Sechzehntelgirlanden umrankt setzt es in der Baßstimme auch den amüsant gesteigerten Schlußkadenz des Werks.

    ↑DA CAPO