Sonate f-Moll op. 2/1
1793
Einen trotzigeren Einstieg in die Sonatenwelt hätte Beethoven wohl nicht formulieren können. Die hochschießende f-Moll-Dreiklangszerlegung, mit der seine erste Klaviersonate beginnt, wirkt bis heute wie eine Absichtserklärung. Ein starker Charakter meldet sich da zu Wort, der sich jenseits jeglichen Unterhaltungsgeistes zu positionieren wünscht.
»Typisch Beethoven«?
„Typisch“ mochte man das später nennen. Doch greift der jugendliche Stürmer hier einen Topos auf, der den Zeitgenossen vertraut war. Die hochaufragende Dreiklangsfolge hat in der Musikgeschichte den Namen „Rakete“ und ist eine von vielen ewig wiederkehrenden Motiven, die zur Zeit der Klassik als „Mannheimer Manieren“, dem Vorbilder der modischen „Mannheimer Schule“ um die Brüder Stamitz folgend, durch die Symphonien, Sonaten und Konzerte geistert.Motivische Arbeit
„Typisch Beethoven“, wenn auch nicht ungewöhnlich in jenen Jahren, sind jedenfalls die sogleich folgenden Abspaltungen des weniger graziös als forsch wirkenden Schlußgrüppchens des kurzen Themas. Knappe, konzentrierte motivische Arbeit, die immer so holzschnittartig präsent sein muß, daß der Hörer sie intellektuell sofort nachvollziehen kann – das wird auch in der Folge Beethovens Force sein. Denken wir an den berüchtigten Beginn der Fünften Symphonie: Die Methode steht hier schon fest.Der ganze Beethoven
in den ersten Takten
Der erste Achttakter der Klaviersonate Nr. 1 enthält sie sozusagen in der Nußschale. Zweimal wird das abgespaltene Motiv auf verschiedenen Stufen wiederholt. Ein drittes Mal findet es sich in einer verbreiterten Version, die kurz zum Stillstand führt. Aus dem Baß setzt das „Raketenthema“ noch einmal an. Die Abspaltung des Schlußmotivs jagt Beethoven, das immerhin weist über die zeitgenössischen Schablonen weit hinaus, kühn durch die Tonarten.Die Durchführung
Ein wenig enttäuschend wirkt nach solch himmelstürmendem Beginn vielleicht die Art, wie der Komponist die Durchführungsarbeit bewältigt. Ganz auf das zweite Thema mit seinen lang gezogenen Seufzern fixiert, führt er uns mittels Sequenzbildung durch die Tonarten. Erst die geheimnisvolle Überleitung zur Reprise, in der über pochenden, zum Teil recht grell dissonierende Repetitionen das Schlußmotiv wie ein böser Kobold geistert, stellt die Qualität der anfänglichen Dramaturgie wieder her: Bei der folgenden Wiederkehr der Themen nimmt sich auf Grund von manch geschärfter Harmonie einiges schmerzlicher aus als zu Beginn. Schroff, ohne viel Federlesens wird abkadenziert. Ein erster Satz, der wahrlich nicht für sich allein stehen kann. Sonate, das ist für Beethoven sogleich ein zyklisches Ereignis.In pastoraler Ruhe hebt das Adagio an. Die im Allegro so prägnante aufsteigende Mollsexte wird nach Dur gewendet. Beethoven greift auf ein Thema zurück, das er zehn Jahre zuvor als Teenager in einem Klavierquartett verwendet hatte. Er biegt es zurecht, weitet es zur klassischen, weit geschwungenen melodischen Linie, die gegen Schluß zu fast hymnische Größe annimmt. Auch hier arbeitet er, wie im Kopfsatz, mit den Mitteln knapper motivischer Reihung und Umwandlung, nutzt diese Arbeitsprozesse aber nicht zur Kontrastbildung, sondern zur subtilen Vereinigung. Die visionäre Schönheit der melodischen Entfaltung mündet bald in immer blumigere Auszierungen, die den Fluß des Satzes vorantreiben, bald im Baß vorwärtsdrängen und in Gefilde führen, die doch aus der selbstvergessenen Stimmung ins sanft Melancholische gleiten. Eine grelle Dissonanz wirft zuletzt Fragen auf, die uns unversehens in die schroffe Welt des folgenden Menuetts führen. Ein „Menuett“? Beethoven hatte in seinen Klaviertrios op. 1 schon die für ihn später so charakteristischen Scherzi an die Stelle des altmodischen Tanzsatzes gestellt. Hier schreibt er noch einmal „Menuetto. Allegretto“, konterkariert freilich den rechtschaffen behäbigen Beginn mit kaltschnäuzigen Akzenten. Die Stellung des Althergebrachten wird unterminiert. Erst das Trio findet zu – allerdings geradezu abgeklärter – Ruhe. Es ist eine Ruhe vor dem Sturm. Denn die im Scherzo angeklungenen Spannungen kommen im Finale, „Presstissimo“, zum Ausbruch. Ungezügelt stürmt der Satz dahin, in jagenden Triolen, die vielfach gebrochen die Dreiklangsthematik des Stirnsatzes neu aufrollen. Schneidend zerteilen die Akkorde der rechten Hand die Takte – und im zwölften Takt grüßt uns wieder das aus dem ersten Satz bekannt Kadenzmotiv. Das Satyrspiel auf das Vorangegangen hebt an. Gegen die Mitte des Satzes zu verwandeln sich die Dreiklänge zum scheinbar tröstlichen melodischen Gegensatz, dessen Dasein nicht von langer Dauer ist.