Beethovens Flügel
Als Geschenk der Firma Broadwood erzielt Ludwig van Beethovens einst den damals modernsten Konzertflügel der Welt. Heute steht das Instrument in Budapest im Museum. Anläßlich einer kurzfristigen Reise nach Wien, durfte Melvyn Tan das Instrument spielen - er und der Restaurator berichteten über ihre Erfahrungen.
Für musikhistorisch interessierte Konzertbesucher enthielt das Mai-Programm der Konzerthausgesellschaft Anno 1992 zwei besondere Daten. Am 5. und am 7. Mai stand nämlich ein besonderes Instrument auf dem Podium: der Flügel, den Ludwig van Beethoven im Jahr 1818 vom englischen Klavierbauer Broadwood als Geschenk erhalten hatte.
Franz Liszt hat das Instrument später erworben. Heute ist es Eigentum des ungarischen Nationalmuseums.
Die Plattenfirma EMI ließ den legendären Broadwood-Flügel für einige Konzerte (und Aufnahmen) zu reaktivieren.
Sechs Aufführungen sind vom Restaurator zu wohltätigen Zwecken genehmigt worden, zwei davon fanden in Wien statt, weitere in Beethovens Geburtsstadt Bonn, in Bath, London und Budapest.
Instandhaltungsarbeiten wurden an dem wertvollen Klavier selbstverständlich immer wieder durchgeführt.
Erstmals aber ist das Instrument nun fachkundig und akribisch wieder hergestellt worden, sodaß kurzfristig sogar das Konzertieren möglich ist.
Als Solist war jener Pianist gewählt worden, der sich international während der letzten Jahre konsequent als einer der führenden Spezialisten für das Spiel auf dem Hammerklavier, der Vorform unseres heutigen Konzertflügels, etablieren konnte: Melvyn Tan.
Die "Presse" sprach mit dem aus Singapur gebürtigen, in London lebenden Künstler und mit Restaurator David Winston über die spektakuläre Unternehmung mit dem Beethoven-Flügel:
"Natürlich", sagt Winston, "müssen wir sehr vorsichtig sein. Eine englische Spezial-Transportfirma wird das Klavier ordnungsgemäß von Konzertsaal zu Konzertsaal transportieren und dann wieder heil im Budapester Nationalmuseum abliefern."
Abenteuerliche Schiffsreise
Die Vorkehrungen waren nicht immer so vorausblickend. Als Broadwood den Flügel 1818 nach Wien schickte, hat dieser die Schiffsreise bis Triest nicht ohne Blessuren überstanden. Melvyn Tan hat sich über das Instrument genau informiert: "Als er angekommen ist, muß er ein schreckliches Instrument gewesen sein, durch den Transport völlig unbrauchbar geworden. Damals hat ihn natürlich ein Wiener Klavierbauer restauriert und deshalb ist gerade dieser Flügel eine Besonderheit. Denn die Restaurierung des ursprünglich ganz im englischen Stil gebauten Klaviers erfolgte natürlich nach wienerischem Geschmack."
Das Stilgemisch zwischen den rivalisierenden Klavierbauschulen soll dem Flügel auch jetzt, nach Winstons akribischer Restaurationsarbeit, wieder anzuhören sein. Wenn das auch nur für wirkliche Spezialisten von Interesse sein dürfte. Immerhin, 1818 berichtete eine Zeitung, Beethoven hätte von Broadwood ein Instrument bekommen, "das mit keinem anderen, in keinem anderen Land verglichen werden kann."
Wie spielt sich das Instrument?
Eine außerordentliche Herausforderung also für den Pianisten, der seit Jahren nur mehr auf Hammerklavieren, nicht mehr auf modernen Konzertflügeln konzertiert. "Es war", erzählt Tan, "eine Entscheidung, die mir eigentlich leicht gefallen ist. Man hat ja nicht genug Zeit, um Klavier, Hammerklavier und Cembalo ordentlich zu spielen. Man braucht für jedes dieser Instrumente eine eigene Technik." Die für das Hammerklavier beschreibt er selbst vor allem mit dem Vokabel "leicht".
Die Durchsichtigkeit der musikalischen Strukturen, die sich auf den Hammerflügeln sozusagen von selbst einstellt, hat Tan bereits in seiner Studentenzeit fasziniert: "Das war für mich ausschlaggebend. Solange ich Beethoven auf modernen Instrumenten gespielt habe, hat mir immer etwas gefehlt. Seit ich auf den Hammerflügeln spiele, weiß ich, was es war: Schlagen sie auf dem modernen Klavier einen Akkord an, klingt er lange nach. Mehrere Akkorde ergeben dann schon ein ganz anderes harmonisches Spektrum als auf dem Hammerflügel, bei dem jeder Ton sofort wieder abklingt. Nur so können sie eigentlich die originalen Tempi spielen. Auf dem Hammerflügel können sie ein Beethoven-Adagio viel schneller spielen als gewohnt, genau in dem Tempo, das Beethoven angibt, und bei dem sich auf dem modernen Instrument die Strukturen verwischen."
Entsprechend begrenzt ist für Melvyn Tan, der in seiner Freizeit gern impressionistische Musik und "sehr viel Oper" hört, das Repertoire. Die Hammerflügel-Zeit endet eigentlich mit dem frühen Schumann, mit Mendelssohn, Schubert oder Beethoven.
Ab Mitte Juni 1992 stand der Flügel dann natürlich wieder - unberührt, auch von Pianistenhänden - im Budapester Museum.