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Johann Mattheson

1681 - 1764

Der Knabe, Schüler des Hamburger Johanneums, war von Jugend an wißbegierig und gab sich mit den Fächern, die man im Gymnasium damals unterrichtete, nicht zufrieden. Er studierte privat auch Englisch, Französisch, Italienisch, außerdem erlernte er das Tanzen, das Reiten und das Fechten. Während seines Rechts-Studiums konnte er bereits als gewandter Sekretär in der englischen Gesandtschaft arbeiten. Orgel gespielt hat Mattheson bereits, als - wie Zeitzeugen berichten - »die Füße das Pedal noch nicht erreichen konnten«.

Die Musik hat Mattheson nicht losgelassen. Da auch seine Stimme ausgebildet war, gelangte er an die Hamburger Oper, die für ihn, wie er selbst bekannte, zur »musikalischen Universität« wurde.

Hamburger Opern-Star

Wendig und lernfähig war Mattheson auch nach Noten: Als der neue Kapellmeister Kusser die Hamburger Oper nach italienischem Vorbild neu ausrichtete, erlernte er auch den italienischen Stil bald bis zur Perfektion. Bis 1705 war er einer der meistbeschäftigten Solisten des Ensembles, die Chronik nennt ihn in 65 Produktionen meist als Sänger einer der Hauptpartien. Mattheson betreute aber auch die Probenarbeit mit, denn er war auch ein gesuchter Pianist und daher ein perfekter Korrepetitor.

Parallel dazu war Mattheson einer der Kapellmeister jener Konzerte, die der kaiserliche Gesandte im niedersächsischen Kreis, Graf von Eckgh, in der Saison 1700/ 01 jeden Sonntag veranstalten ließ. Für diesen Zweck soll Mattheson eine ganze Reihe von Konzerten und Suiten, sogenannte Ouvertüren komponiert haben, die alle nicht erhalten blieben.

Freundschaft mit Händel

Bei einer Veranstaltung des Gesandten wurde die Gräfin Aurora von Königsmarck auf Mattheson aufmerksam und wurde zu dessen Mäzenin. Der Gräfin widmete Mattheson 1713 sein Neu-eröffnetes Orchestre, die erste seiner später so berühmten ästhetischen Schriften.
Eine enge Beziehung pflegte Mattheson zu Georg Friedrich Händel, dem er nach eigener Angabe bei der Komposition der Oper Almira mit dramaturgischem Rat zur Seite stand, wofür sich Händel angeblich mit der Demonstration »kontrapunktischer Kunstgriffen« revanchiert haben soll. Es kam zwischen den beiden Komponisten auch zu einem - allerdings kurzlebigen - Zerwürfnis. Matthesons letzte Auftritte als Opernsänger fanden jedenfalls in Aufführungen von Händels Hamburger Stücken Almira und Nero statt.

In den Jahren um 1705 machte sich erstmals das beginnende Gehörleiden bemerkbar, das dreißig Jahre später zur vollständigen Ertaubung Matthesons führen sollte.

Diplomatische Reisen

Die musikalischen Aktivitäten hielten Mattheson nicht davon ab, seine diplomatischen Dienste fortzusetzen. Er genoß es, im Auftrag der Gesandtschaft auf Reisen zu gehen und versäumte nirgendwo, das jeweilige Musikleben genau zu inspizieren. Sein Ruf als Musiker drang weit über die Grenzen Hamburgs hinaus. Als Mattheson eines Tages in Leipzig Station machte, beehrte ihn der bedeutende Kollege Kuhnau mit einer Abendmusik, für die er ein für damalige Verhältnisse großes Ensemble von an die dreißig Spielern engagierte.

Historische Opernstoffe

Bemerkenswert an Matthesons Opern-Werken bleibt die Vorliebe für historische Stoffe - so vertonte er selbst verfaßte Libretti zu Boris Godunow und Heinrich IV., wobei Boris Godunow nie zur Aufführung kam.
Von den Oratorien war schon zu Matthesons Zeiten die Passionsmusik Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus (1718) das am meisten beachtete, das schon im darauffolgenden Jahr auf vielfaches Verlangen wiederholt werden mußte.

In diesem Jahr, 1719, wurde Mattheson Holsteinischer Hofkapellmeister und leitete in der Folge sogenannte Abendmusiken »bey Hofe«.

Seite an Seite mit Telemann

Georg Philipp Telemann, der seit 1721 in Hamburg bei gegenseitigen Respektsbezeugungen Seite an Seite mit Mattheson wirkte, stellte sich in etlichen der von Matthesons ästhetischen Schriften provozierten theoretischen Auseinandersetzungen auf dessen Seite - also in manchen Fällen gegen den gegen Matthesons Aussagen polemisierenden Johann Joseph Fux. Telemann, mit dem Mattheson schon vor dessen Hamburger Jahren korrespondiert hatte, leitete schließlich auch 1764 bei Matthesons Begräbnis eine Aufführung einer Trauermusik, die Mattheson für sich selbst komponiert hatte.

Theoretische Schriften

Die Zeitgenossen würdigten Matthesons Einsatz für eine übersichtliche und grundlegende Musiktheorie. Im Lexikon J. G. Walters nimmt der Artikel über Mattheson bedeutend mehr Platz ein als die vergleichbaren Texte über Bach oder Händel. Auch Mizler, dessen Societät für den späten Bach so bedeutsam werden sollte, widmete sich in seinen bedeutenden Leipziger Vorlesungen immer wieder ausgiebig den Schriften Matthesons.

Eine Generation später meinte freilich der stets kritische Beobachter Charles Burney über Mattheson:
Dieser gute Mann war mehr mit Pedanterie und wunderlichen Einfällen begabt, als mit wahrem Genie
doch hätte er immerhin
bei seinen Landsleuten einen Styl einführte, der besser war, als ihr eigner.
Den Vollkommenen Capellmeister betrachtete jedenfalls noch Joseph Haydn als ideales Lehrbuch. Als Dokument für den Nährboden, auf dem die entscheidenden stilistischen Umwälzungen der abendländischen Musikgeschichte gedeihen konnten, sind Matthesons Schriften, allen voran die »Ehren-Pforte« mit biographischen Würdigungen der Komponisten jener Ära, jedenfalls bis heute aufschlußreich.


Die barocke Suite

Ein Auszug aus dem
»Vollkommenen Capellmeister«
(1739)


Allemande Die Allemanda, als eine aufrichtige Teutsche Erfindung, [gehet] vor der Courante, so wie diese vor der Sarabanda und Gigue her, welche Folge der Melodien man mit einem Nahme Suite nennt. Die Allemande nun ist eine gebrochene, ernsthaffte und wol ausgearbeitete Harmonie, welche das Bild eines zufriedenen oder genügten Gemüths trägt, das sich an guter Ordnung und Ruhe ergebet. 

Courrante
Die Leidenschaft oder Gemüthes Bewegung, welche in einer Courante vorgetragen werden soll, ist die süße Hoffnung. Den es findet sich etwas herzhafftes, was verlangendes und auch was erfreuliches in dieser Melodie: lauter Stücke, daraus die Hoffnung zusammengefüget wird.  

Sarabande
So hat dieselbe keine andre Leidenschaft auszudrucken, als die Ehrfurcht [. . .]; daß sie keine lauffende Noten zuläßt, weil die Grandezza solche verabscheuet, und ihre Ernsthafftigkeit behauptet.  

Menuett
Es hat [. . .] keinen andern Affect, als eine mäßige Lustigkeit. Wenn die Melodie eines Menuetts nur sechzehn Tact lang ist, (denn kürzer kan sie nicht seyn), so wird sie wenigstens einige Commata, ein Semicolon, ein Paar Cola, und ein Paar Puncte in ihrem Begriff aufzuweisen haben. Das sollte mancher schwerlich dencken; und ist doch wahr.  

Bourrée
Eine Melodie, die mehr fließendes, glattes, gleißendes und aneinander hängendes hat, als die Gavotte, ist die Bourrée. [. . .] Doch muss ich hier sagen, dass ihr eigentliches Abzeichen auf der Zufriedenheit, und einem gefälligen Wesen beruhe, dabey gleichsam etwas unbekümmertes oder gelassenes, ein wenig nachläßiges, gemächliches und doch nicht unangenehmes vermacht ist.  

Gavotte
Ihr Affect ist wirklich eine rechte jauchzende Freude. Ihre Zeitmaaße ist zwar gerader Art; aber kein Vierviertel Tact; sondern ein solcher, der aus zween halben Schlägen bestehet; ob er sich gleich in Viertel, ja gar in Achtel theilen läßt. Ich wollte wünschen, daß dieser Unterschied ein wenig besser in Acht genommen würde, und daß man nicht alles so überhaupt eine schlechte Mensur nennen mögte: wie geschiehet. Das hüpffende Wesen ist ein rechtes Eigenthum dieser Gavotten; keineswegs das lauffende.   

Gigue
Die welschen Gige endlich, welche nicht zum Tanzen, sondern zum Geigen (wovon auch ihre Benennung herrühren mag) gebraucht werden, zwingen sich gleichsam zur äußersten Schnelligkeit oder Flüchtigkeit; doch merhrentheils auf eine fließende und keine ungestüme Art: etwa wie der glattfortschießende Strom-Pfeil eines Bachs.

↑DA CAPO