Jean-Marie Leclair

1697 - 1764

Antoine Leclair hieß ein »Bortenwirker« aus Lyon, der offenbar mit einer schönen Stimme begabt war und als »basse de symphonie« bei den Jahr für Jahr am 8. August in Lyon veranstalteten Aufführungen von Motetten seine guten Dienste tat. Grundlegend war Antoine Leclair nicht nur, was das Stimmfach betraf: Er wurde zum Ahnherrn eines ganzen Musikergeschlechts, dessen bedeutendstes Mitglied sein Sohn, Jean-Marie werden sollte.

Jean-Marie war zunächst als Mitgliedes der Ballett-Compagnie in Rouen engagiert, wo die Marquise de la Mésangère zu seiner Mäzenin wurde. Zunächst sollte er den Beruf seines Vaters, Antoine, erlernen, wurde aber zusammen mit seiner Ehefrau, der jungen Witwe Marie-Rose Castagnié als Tänzer und Geiger an die Oper von von engagiert. Sein Talent waroffenkundig. Bald empfahl man den brillanten jungen Mann als Solotänzer und Ballettmeister nach Turin, von wo aus er im Herbst 1723 nach Pars übersiedelte. Joseph Bonnier, ein wohlwollender Gönner, finanzierte den Druck von Leclaris ersten Violinsonaten, die seinen Ruf als Komponisten begründen sollten.

Der Geiger Leclair wurde bald zur europäischen Berühmtheit. Mit Quantz war er bereits in Turin zusammengetroffen, bei Arcangelo Corellis Schüler Somis hatte er sich den letzten Schliff geholt - und trat in die Fußstapfen des großen Vorbilds: Was in Leclairs Musik an den italienischen Stil erinnert, basiert auf Corellis bahnbrechenden Werken.

Im April 1728 konzertierte er vor der königlichen Gesellschaft und publizierte die zweite Folge seiner Sonaten. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er 1730 die wohlhabende Pariser Kupferstecherin Luise-Catherine Roussel, die in der Folge sämtliche seiner Werke druckte. Mitte der Dreißigerjahre kam es zu einem Wettstreit mit mit seinem Geigerkollegen Guignon, der dazu führte, daß Leclair aus der könniglichen Kapelle ausschied und auch in den Concerts Spirituels nicht mehr als Solist mitwirkte. Doch spielten die großen Geiger jener Epoche alle seine Sonaten, die sich auf diese Weise international verbreiten konnte.

1737 ging Leclair in die Niederlande, wo sich Prinzessin Anna von Oranien, die auch eine entschiedene Förderin Händels war, seiner Karriere annahm. Die Sonaten op. 9 sind der Prinzessin gewidmet.

In Amsterdam dürfte es zu einer Begegnung mit Locatelli gekommen sein, dem damals führenden italienischen Meister der Instrumentalmusik.

Zurück in Frankreich wurde Leclair zum Kapellmeister des Infanten Don Philippe in Chambéry. An der Pariser Oper kam 1746 seine erste und einzige Oper heraus, Scylla et Glaucus. Im übrigen blieb Leclair der Meister der Violinmusik.

Als stolzer Hausbesitzer, freilich in einem eher verrufenen Stadtviertel von Paris, fiel Leclair, den die Zeitgenossen durchwegs als Misanthropen bezeichneten, einem Mordanschlag zum Opfer.

Leclairs Musik - voran die 49 Violinsonaten - bildete die Grundlage der französischen Geigenschule. Im ersten und vierten Buch der Druckausgaben werden in Vorworten auch technische Details ausführlich beschrieben, die für die Rekonstruktion der barocken Aufführungspraxis von entscheidener Bedeutung sind.

Leclairs Spiel soll klar, unbestechlich und blitzsauber gewesen sein, eher technisch brillant als ausdrucksstark. Noch gegen Ende seines siebenten Lebensjahrzehnts soll er mit einem Feuer musiziert haben, »das einem jungen Mann gut angestanden wäre«, urteilte ein zeitgenössischer Beobachter. Leclairs Violinkonzerte, alle nach italienischem Vorbild gearbeitet, sind anspruchsvoll und weiten die Form zu komplexen Möglichkeiten, die solistische Kunst im Dialog mit dem Orchester zu kultivieren. Insofern greifen Leclairs Kompositionen schon voraus auf Praktiken der klassischen Meister.

Leclairs Sonaten für zwei Violinen (ohne Basso continuo) gehören zur besten Musik für zwei unbegleitete Soloinstrumente, die je geschrieben wurde. ▤

DA CAPO