Georg Philipp TELEMANN
(1681 - 1767)
Wenn man »den besten nicht bekommen« können, »müsse man den andern nehmen«, beschied der Leipziger Rat Anno 1723 - der »beste«, das wäre Wunschkandidat Georg Philipp Telemann gewesen. Ihn wollte man zum Nachfolger Kuhnaus als Thomaskantor machen.
Doch Telemann hatte abgewunken.
Also wurde es »der andere«. Das war Johann Sebastian Bach.
Telemann galt den Zeitgenossen als der bedeutendste Meister. Er war auf allen Gebieten seiner Kunst gleich fruchtbar, als Opernkomponist, als Kichenmusiker, als Meister der Unterhaltungsmusik mit unzähligen Sonaten, Concerti, Suiten und ganzen Serien von Tafelmusiken.
Die Herausgeber der Gesamtausgabe kommen gar nicht nach mit dem Aufarbeiten des ungeheuren Erbes, das der geniale Vielschreiber hinterlassen hat. Wahrscheinlich werden sie nie fertig werden.
Telemann hat ja einmal gemeint, ein rechter Compositeur müsse »auch ein Türschild in Musik setzen können.« Er konnte alles in Musik setzen. Und es mangelte ihm nie an Phantasie, um es so zu tun, daß das Ergebniss jeweils immer ein wenig - und manchmal hoch - erhaben über die einschlägigen Hervorbringungen seiner Zeitgenossen war. (Bach und Händel aus der Sicht der Nachgeborenen einmal ausgenommen.)
Wie auch immer: Jede Begegnung mit Musik Telemanns kann auch den Musikfreund im XXI. Jahrhundert noch überraschen. Immer ist angenehmer, intellektuell unterhaltender Hörgenuß garantiert.
Schier unendlich - wie alles in Telemanns Werkkatalog - scheint die Reihe seiner Concerti für die unterschiedlichsten Instrumente. Hier in Form von locker gereihten Tanzsuiten, da schon im »modernen« Sinne Vivaldis mit einem gesanglichen langsamen Satz zwischen zwei virtuosen Allegro-Teilen. Das Concerto Köln hat für Deutschlandradio eine Reihe dieser spritzigen Kompositionen aufgenommen. Geistreiche Unterhaltungsmusik aus dem Barock. (cpo)
Als repräsentativste Gattung dieser Unterhaltungsmusiken galt für Telemann - wie für Bach - die in Suitenform gehaltene »Ouvertüre«, so benannt nach dem ersten Satz dieser Werke, der jeweils in französischer Ouvertürenform mit gravitätischer, im punktierten Rhythmus fortschreitender langsamer Einleitung, gefolgt vom in aller Regel fugierten Allegro-Hauptteil. Danach reihen sich Tanzsätze in zwangloser Folge. Das Orfeo Barock Orchester hat einige dieser durchwegs ungemein kraftvollen, farbig orchestrierten Ensemblestücke aufgenommen. Die koloristischen Effekte wechseln oft von Satz zu Satz und präsentieren die apartesten Mischungen. (cpo)
Unter Telemanns »Ouvertüren« findet sich unter anderem auch seine »Wassermusik«, eine programmatische Suite mit dem Titel Hamburger Ebb und Fluth, die als eines der wenigen Werke aus dem riesigen Katalog schon früh die Interpreten interessiert hat: Eine frühe, klanglich schwergewichtige, aber farbenprächtige Aufnahme hat Concert-Hall-Society-Gründer David Josefowitz mit einem Ensemble namens Paris Baroque Orchester gemacht. Ihre Neu-Edition erscheint auf einer CD mit Telemann-Aufnahmen der Deutschen Bachsolisten. Dokumente der Frühzeit der Besinnung auf Telemanns Musik. (Beulah)
Die Musik, die Telemann fürs stille Kämmerlein verfaßt hat, kann Cembalisten (und natürlich Pianisten) bis heute in ihrer Vielfalt erfreuen - und in ihrer schieren Masse: Suiten und »Fantasien« hat dieser Komponist selbstverständlich jeweils im Dutzend veröffentlicht. Und wie stets enttäuscht er die Musiker nicht, die nahezu in jedem Stück mindestens eine nette Überraschung erleben. Der ebenso kundige wie fleißige Claudio Colombo hat die »Drei Dutzend Fantasien« auf seinem Digital-Piano eingespielt und zu einem launigen Hörabenteuer vereint.
Eine hervorragende CD hat die thüringische Mezzosopranistin Annette Markert stilbewußt mit dem Ensemble Parnasso musicale für Christphorus aufgenommen: Weltliche und geistliche Kantaten, die Telemanns Kunst hören lassen, Worte und ihre Bedeutung geschmeidig in Musik zu setzen.
Wer nach Alternativen zu Bachs großen Passionen sucht, wird bei Telemann selbstverständlich fündig. Zwar hat er keine annähernd so tiefgründigen und weitausgreifenden Karfreitagsmusiken geschrieben wie der Thomaskantor, aber doch Stücke derselben Faktur, in demselben Widerstreit von beschaulich-betrachtenden Chorälen und feurig-dramatischer Evangeliums-Erzählung. Freilich die Arien, die Telemann einstreut, sind in der Regel maximal drei bis vier Minuten lang, die übrigen Nummern ziehen in gedrängter Dramaturgie in oft gespenstisch knapper Diktion am Hörer vorbei. Hermann Max hat die Markuspassion mit seinem »Kleinen Konzert« engagiert zum Klingen gebracht. (cpo)
Gottfried von der Goltz hat mit seinen Freiburger Barocksolisten ein Werk aufgenommen hat, das eine
der meistgespielten Passionsmusiken des 18. Jahrhunderts war und sich von den Bachschen Passionen auch formal stark unterscheidet: Seliges Erwägen heißt das Oratorium, das in ganz Deutschland verbreitet war und - anders als die beiden erhaltenen Bach-Passionen nicht von einem Evangelisten "präsentiert" wird: In den neun "Betrachtungen" des Kreuzwegs singen auch Jesus, Petrus und Kaiphas Arien; Sopran und Tenor "betrachten" aus Volkes Perspektive. Warum Telemann als führender Meister seiner Zeit galt, errät sich übrigens gleich an den fein abgestuften Instrumentationsfarben (mit Schalmeienklängen!) in der Instrumental-Einleitung. (apartemusic.com/(NDR))