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Henry PURCELL

(1659 - 1695)

Er war der letzte große in England geborene Komponist vor dem Wiedererstarken des britischen Musiklebens am Beginn des XX. Jahrhunderts. Zwischendrin galt lediglich Georg Friedrich Händel, ein Sachse, der in Italien seinen letzten Schliff erhielt, als führender Kopf der „englischen Musik“.
Purcell war der Sohn eines Kapellsängers von König Karl II. und verdiente sich in seiner Zeit als Organist der Westminster Abbey auch erste Theater-Sporen als Verfasser von Bühnenmusiken von Schauspiele von Dryden oder Shakespeare.

Im wesentlichen schrieb Purcell freilich geistliche Musik, allen voran ein prächtiges „Anthem“ zur Inthronisierung von König Jacob II.
Doch die Leidenschaft des Komponisten galt der Bühne. Seine erstes bedeutendes Musiktheater-Werk ist Dido und Aeneas, entstanden vermutlich für die Krönungsfeierlichkeiten von Wilhelm III und Maria II. und, wie auch spätere Stücke, eine Oper, geformt nach den Londoner Gepflogenheiten, also ziemlich eigenständig im Aufbau. Innerhalb der einstündigen Vorstellung gab es bei der Uraufführung im April 1689 gleich fünf Balletteinlagen.

Insofern greift der Selfmade-Musikdramatiker Purcell am ehesten auf das Vorbild der französischen großen Oper zurück, wie Jean-Baptiste Lully es vorgebildet hatte. Insgesamt aber ist Purcells Formgebung mit nichts in jener Ära wirklich vergleichbar. Vor allem spricht Purcell in seiner Musik eine für barocke Verhältnisse ungewöhnlich direkte, subjektive Sprache.
Das berühmte Lamento der Dido gehört in seiner Schnörkellosigkeit zu den expressivsten Opernszenen der Ära vor Händel. Vom Chor der Hexen wiederum möchte man meinen, es führe ein direkter Entwicklungsstrang zu Verdis mehr als eineinhalb Jahrhunderte später komponiertem Macbeth.
Als ebenso originell und vielgestaltig wie Dido und Aeneas entpuppte sich bei jüngeren Aufführungsversuchen das ungewöhnliche, für England aber nicht typische Hybridprodukt aus Sprechstück und Oper, King Arthur, das anläßlich der Salzburger Festspiele einmal zu einem aufregenden Klangtheater unter Nikolaus Harnoncourt wurde.

Der Mitschnitt der Salzburger Produktion von KING ARTHUR ist →auf DVD erschienen.

Wenn Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus musicus erscheint, um barockes Musiktheater zu untermalen, dann kann es freilich passieren, daß die Musik zum beherrschenden Element eines Opernabends wird. Die wahren Abenteuer finden ja, wie wir wissen, im Kopf statt.
Und dort begibt sich Henry Purcells Zaubermärchen vom König Artus und seiner Liebe zur blinden, bildschönen Emmeline ganz märchenhaft. Auch bei den Salzburger Festspielen 2004 war das so: Solang die Musik spielte und der Besucher die Augen schloß, war es ein Fest.

Harnoncourt hat für Musik von anno 1690 längst eine eigene Sprache gefunden. Oder sagen wir besser: eine Sprachregelung, die mittlerweile von allen Interpreten der zivilisierten Welt übernommen wurde, mit kleinen Adaptionen ausgebaut und umgeformt vielleicht, aber im wesentlichen Harnoncourts Funden verpflichtet. Wenn Harnoncourt und seine Mitstreiter der ersten Stunde für ein Stück von Purcell in der Felsenreitschule erscheinen, dann weiß man also, wofür in Salzburg Festspiele ausgerufen werden.

Harnoncourt erzählt die Geschichte von den guten Engländern und den bösen Sachsen, von den fliegenden Zauberern und liebenden Herzen mit allen Mitteln barocker Tonmalerei. Und die sind so enorm wie überraschend. Immerhin sitzen ja nur wenige Spieler in der runden Ausnehmung im bunt gemalten Bühnenboden, Oboen, Flöten und Milan Turkovic mit seinem Fagott, eine Orgel ertönt einmal, viel Streicherklang wird von Cembalo und zwei riesigen Lauten oder Theorben als Continuo-Instrumenten grundiert, da zupft und zirpt es, daß es eine Freude ist.

Was an Dämpfungen und Echowirkungen nur möglich ist, an behutsam verschleierten Akkorden und ätherischem Farbgetupfe, das bringt der Concentus in die Aufführungen ein. Die wird so zum Klangspektakel, das mit kraftvollem Gerassel auch die Kriegsgräuel malt, wenn Sachsen und Briten aufeinander einschlagen.

Sie tun's auf der Bühne dann nicht annähernd in solchem Ausmaß, wie es die Musik ahnen ließe. Denn Jürgen Flimm reiht seine Inszenierungsbilder vergleichsweise harmlos aneinander und zieht kabarettistische Arrangements einem ernsthaften szenischen Zugriff, der dem musikalischen Harnoncourts entspräche vor.

Auf der Habenseite der szenischen Gestaltung dieser "Dramatick Opera", wie sie im Original heißt, sind die Kostüme Birgit Hutters zu verbuchen, die manch hübschen Akzent setzen, indem sie einen charakteristischen Couture-Bogen zwischen archaisierenden Fellgewändern und modernen Badekostümen spannen. Wenn ein Zauberer die Welt kurzerhand gefrieren lässt, dann wandelt der Chor mit einem Mal in Pinguin-Gestalt.

Michael Maertens muß den König Arthur wie einen lächerlich degenerierten Popanz spielen und das zauberhafte Damenpaar - die Emmeline von Sylvie Rohrer hat mit Ulli Maier eine resch-liebenswerte Kammerdienerin zur Seite - bleibt etwas verloren zwischen der kasperlhaften Briten-Sippschaft und den Sachsen, die der Regisseur als brüllende wilde Gorillahorde mit Stahlhelmen über die Bühne jagt.

Exzellente Schauspieler wie Roland Renner (als heiser dräuender, teuflischer Magier) oder Alexandra Henkel (der trippelnde, ungeschickt- geschickte Luftgeist) werden zu Statisten in diesem theateralischen Versuch, in dem der Zauberer Merlin (Christoph Bantzer), als zu spät kommender weiblicher Festspielgast verkleidet, im Zuschauerraum erscheint.

Witzchen über Festspiel- Vergangenheit und -Gegenwart inklusive. die Gesangs-Solisten leisten teils vorzügliche Vokalarbeit, während sie die vorgeschriebenen Grimassen schneiden. Michael Schades zauberisch lyrischer Hirtengesang schmeichelt freilich dem Ohr wie manche Sopran-Phrase von Barbara Bonney oder Isabel Rey. Birgit Remmert und Oliver Widmer singen so untadelig wie der blendend vorbereitete Staatsopernchor. Mit geschlossenen Augen nimmt sich's aus wie eine hinreißende Barock-Zauberei. Und Widmers "Frost-Szene" - populär geworden dank einer Videoclip-Version mit der Pop-Ikone Klaus Nomi - ist auch zum Zuschauen wirklich amüsant.


KING ARTHUR
Nikolaus Harnoncourt * Jürgen Flimm
mit Michael Maertens, Sylvie Rohrer, Ulli Maier, Michael Schade, Isabel Rey und Barbara Bonney.

(EuroArts)

↑DA CAPO

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