Claudio Monteverdi

(1567 - 1643)

Eines der Gipfelwerke katholischer Sakralmusik. (1610)

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Ein Meisterwerk, aus der Not geboren. Claudio Monteverdi war zwar bereits weltberühmt, als er 1610/11 daran ging, seine Marienvesper zu komponieren, doch er lebte in größter Not. Seine Zeit in Mantua, wo er mit seinem Orfeo einen Triumph sondergleichen eingefahren hatte und sofort um eine weitere Oper gebeten wurde - Ariadne, von der sich nur der große Monolog der Titelheldin erhalten hat - war mit Tod des regierenden Fürsten zu Ende gegangen. Dessen Erbe hatte den Kapellmeister entlassen - in Ehren zwar, aber ohne größere finanzielle Zuwendungen. Der Komponisten war gezwungen, zu seinen Eltern nach Cremona zurück zu ziehen und nutzte die Zeit ohne Anstellung, um sein Gipfelwerk geistlicher Musik zu schaffen. Mit der Vesper, die ein Kompendium traditioneller und moderner Kompositionsstile wurde, setzte er alles auf eine Karte: Er sandte die Partitur nach Rom, wo man beeindruckt war, aber nicht weiter reagierte. Danach sandte er sie nach Venedig. Dort griff man zu. Die Uraufführung der Vesper markierte den Beginn der Spätphase Monteverdis - er wurde Kapellmeister von San Marco, persönlich zwar keineswegs glücklich - Frau und Tochter waren in Mantua gestorben - zog er sich in ein mönchisches Leben zurück und wurde zum Priester geweiht. Aber finanziell hatte er hinfort keine Probleme mehr.

Gerüchte, Spekulationen

Wie so oft bei bedeutenden Werken der Musikgeschichte, ranken sich auch um die Marienvesper Monteverdis Gerüchte und Theorien. Vielfach wurde davon gesprochen, die einzelnen Teile gehörten gar nicht im Sinne eines großen Ganzen zusammen. Doch konnten mittlerweile alle Spekulationen ausgeräumt werden, auch die, daß bei Aufführungen im liturgischen Rahmen unbedingt gregorianische Antiphone eingefügt werden sollten, um die Psalmvertonungen des ersten Abschnitts miteinander sinnvoll zu verbinden.

Vielmehr dürft mittlerweile klar sein, daß die Gesitlichen Konzerte, die Monteverdi in der Druckausgabe jedem Psalm folgen ließ, die Stelle der Antiphone einnehmen sollten. Im beginnenden XVII. Jahrhundert war es in Italien durchaus üblich, die einstimmigen Antiphone durch kunstvollere Motetten oder Instrumentalzwischenspiele zu ersetzen. Diese Gebräuche griff der Komponist auf und stilisierte sie aufs höchste: Die Vesper wurde zu seiner bedeutendsten geistlichen Komposition und steht in ihrer künstlerischen Vollendung auf einer Stufe mit den drei erhaltene Opern Monteverdis, Orfeo, Ulisse und Poppea.

Sie ist auch ein Musterbeispiel für die für Monteverdi typische Durchdringung der beiden großen Kompositions-Stile seiner Ära: der kontrapunktische Reichtum der sogenannten »Prima Prattica« (dem Ausklang der Renaissance-Polyphonie) und die Ausdrucksstärke der auf eine hochexpressive Melodielinie zugeschnittenen »Seconda Prattica«, der com grano salis die Oper entsprang - mit deren stilistischen Rahmenbedingungen die Vesper allerhand zu tun hat, auch wenn es sich um ein Werk für den Gottesdienst handelt und ursprünglich mit Sicherheit die Sopran- und Altstimmen von Knaben und jungen Männern gesungen wurden.

Hintergründe

Im Druck erschien die Vesper im Verein mit einer Messe (Missa »In illo tempore«). Die Prachtausgabe wurde Papst Paul V. gewidmet. Reverenz an den alten Stil ist die Tatsache, daß alle Nummern der Vesper auf vorgegebenen Melodien basieren, den sogenannten »Cantus firmi«. Auch die Messe geht, wie üblich, auf eine Vorlage zurück: Die Motette In illo tempore von Nicolas Gombert hat ihr den Namen und die Grundmelodie gegeben.

Dennoch klingen Messe und Vesper vergleichsweise »modern«, denn Monteverdi hat hier den Wechsel von den altgewohnen Kirchentönen in die uns vertraute Dur-Moll-Tonalität bereits konsequent vollzogen. Gomberts Motette steht (zu diesem Zweck darf man sagen: »praktischerweise«) im ionischen Ton, also nach unserem Tonalitätsgefühl in Dur.

In der Vesper basieren die einzelnen Nummern auf den gregorianischen Psalm-Rezitationen, doch Monteverdi bindet sie raffiniert in ein Dur- und Moll-Umfeld ein, holt sie also harmonisch in die neue Zeit herüber. Die Praxis der tonalen Übereinstimmung zwischen den Psalmen und den dazugehörigen Antiphonen übernimmt er - und verwandelt sie für seinen Zweck: Psalm und folgendes Concerto stehen jeweils in derselben Tonart. Vom letzten Psalm leiten eine Sonata und ein Hymnus über zum abschließenden Magnificat.

Die Druckausgabe enthält zwei Vertonungen des Magnificats, eine in der reich orchestrierten Besetzung der übrigen Vesper-Teile, eine in einer reinen Chorfassung mit Basso continuo. Es ist anzunehmen, daß es sich hiebei um eine Alternativ-Version handelt, denn auch die übrigen Teile der Vesper können ohne Instrumentalbegleitung musiziert werden. Die zahlreichen Ritornelle entfallen dann. Die Vokalstimmen werden nur von Orgel und Violone (Kontrabaß) gestützt - in diesem Fall erklingt die zweite Version des Magnificat als Abschluß der liturgischen Feier.

Aufbau

  • Invitatorium Deus in adiutorium meum intende
  • Psalm 109  Dixit Dominus Domino meo
  • Concerto Nigra sum (motetto ad una voce)
  • Psalm 112 Laudate pueri (Tenor)
  • Concerto Pulchra es (a due voci)
  • Psalm 121 Laetatus sum
  • Concerto Duo Seraphim (2 Tenöre, Baß)
  • Psalm 126 Nisi Dominus
  • Concerto Audi coelum
  • Psalm 147 Lauda Jerusalem
  • Sonata sopra Sancta Maria Ora pro nobis


  • Hymnus Ave maris stella

  • Magnificat
  • → Text



    Wirkung

    Schon die Zeitgenossen erkannten die Größe dieses Werks. Der Poet Constantijn Huygens, der bei der Einstudierungsarbeit vor der Uraufführung in Venedig dabei sein durfte, schrieb:
    Am 24. Juni, dem Fest Johannes des Täufers, brachte man mich zum Vespergottesdienst in der Kirche von St. Johannes und Lucia, wo ich die vollkommenste Musik hörte, die ich wohl je in meinen Leben hören werde. Der sehr berühmte Claudio di Monteverdi, Kapellmeister in San Marco, der diese Musik komponiert und einstudiert hatte, dirigierte sie; sie wurde mit vier Baßlauten, zwei Kornetten, zwei Fagotten, zwei Violinen, einer Baßviola von monströser Größe, einer Orgel und anderen Instrumenten aufgeführt, die alle gleich gut gespielt wurden, ganz zu schweigen von zehn oder zwölf Singstimmen. Ich war außer mir vor Entzücken.


    DA CAPO

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