Wenn Bach katholisch gewesen wäre...
Die „Hohe Messe“ und Überlegungen zu möglichen Opern eines Kantaten-Meisters
Wenn ...
ja, wenn die Sachsen einst von ihrem Vorrecht auf die besten Musiker Gebrauch gemacht hätten, dann . . .
Das Wörtlein „Wenn" ist in der Geschichtsbetrachtung bekanntlich nicht zulässig. Man hat sich ohne Wenn und Aber zu erinnern. Doch liegt einem der Einwand hie und da auf der Zunge, gerade, wenn man in historischen Almanachen blättert.
Oder in Programmheften von Konzerthäusern.
Oder CD-Booklets.
Wenn Ludwig Güttler und seine Virtuosi Saxoniae etwa auf etlichen Silberscheiben Musik „am Hof zu Dresden“ vorstellen, Werke von Heinichen und Telemann, Zelenka und Hasse, dann fragt man sich schon, was gewesen wäre, wenn . . .
Dazu muß man aber ein wenig ausholen: Der starke August hat es ja dem kecken Henri IV. gleichgetan, der gemeint hat, Paris sei eine Messe wert. In Augusts Fall (fast genau 100 Jahre später) war es Krakau, wo er zum König von Polen gekrönt wurde. Aber dazu mußte er eben katholisch werden - er tat es übrigens in Baden bei Wien!
Der Katholizismus samt der ihm eigenen - gegenüber dem Protestantismus wirklich lustvollen - Prachtentfaltung hatte einst auch Johann Sebastian Bach gereizt. Es gibt ja kaum prächtigere Festmusiken als jene, die uns aus den Orchestersuiten oder den weltlichen Kantaten des Thomaskantors entgegenklingen, der gar keine Lust hatte, sein Lebtag Thomaskantor zu bleiben.
Seine in Leipzig völlig unbrauchbare, weil liturgisch unerwünschte Vertonung des gesamten Messordinariums - nachmals als „Hohe Messe“ berühmt geworden - schickte er hoffnungsfroh nach Dresden, um von Augusts Sohn den Titel eines Hofkomponisten zu erhalten. Für den elfjährigen Enkel schrieb er sogar eine (später zu neuen Texten im sogenannten „Weihnachtsoratorium" aufgegangene) Geburtstagskantate.
Es half alles nichts.
Von Johann Sebastian Bach wollte man im katholischen Dresden keinen Gebrauch machen - und wir Nachgeborenen sehen uns damit vermutlich um glänzende weltliche musikalische Kraftquellen (vielleicht sogar Bach'sche Opern!) betrogen; zumal der geistliche OEuvre-Katalog Bachs damals ja schon mehr oder weniger vollständig vorlag . . .
So bleibt uns, Güttlers Aufnahmen der Musik vom Dresdner Hofnachzuhören,die freilich von eminenter Qualität war. Nur einer hätte da wahrscheinlich noch mehr unterzünden können; aber den wollte man ja nicht haben. Es darf aber wenigstens in der Kunst geträumt werden, was hätte sein können.
Wenn . . .
Musik am Dresdner Hof
ganz ohne Bach . . .
Musik von Telemann, Fasch, Heinichen und Vivaldi
Berlin Classics