J. S. BACH 

Sechs Variationen über den Gedanken des Miteinander

Konzertieren, das kommt von concertare: Musik als Grundlage des friedlichen Wettstreits, idealtypisch versammelt bei Johann Sebastian Bach.

Wir alle wissen, ohne überlegen zu müssen, was ein Konzert ist. Bei näherer Betrachtung zersplittern die Assoziationen aber rasch. Die Form des dreisätzigen Konzerts für ein Soloinstrument und Orchester repräsentiert einen verhältnismäßig knappen Zeitraum der abendländischen Musikproduktion.
Vorausgegangen ist die Epoche des barocken Concertos - ganz abgesehen von den "Geistlichen Konzerten" eines Heinrich Schütz, die Vokalwerke sind.
Und wie so oft war es Johann Sebastian Bach, der einen Schlußstrich gezogen hat, indem er eine Art Summe dessen publizierte, was zu seiner Zeit Konzert heißen mochte.

Völlig unterschiedliche Concerti

Die Sammlung der sogenannten Brandenburgischen Konzerte stellt insofern ein Unikum darf, als sie sechs völlig unterschiedliche Kompositionen enthält, die wirklich nur der Name Konzert vereint. Da gibt es:

Konsortmusik für tiefe Streicher (Nr. 6) und eine (zweisätzig) für drei Geigen, drei Bratschen, drei Celli und Baß (Nr. 3),

Ein virtuoses idealtypisches Concerto grosso (Nr. 2) für Trompete, Violine und Blockflöte,

Ein (viersätziges) Divertimento für ein Orchester mit zwei Hörnern und drei Oboen (Nr. 1).

Und last but not least die Nummer fünf, in der zwar auch eine Querflöte und eine Geige solistisch drankommen, aber das Cembalo so dominiert, daß in der Literatur vom ersten veritablen Klavierkonzert gesprochen wird.

Sammler wissen, daß es davon unter anderem eine hörenswert dynamische Aufnahme gibt, in der Swjatoslaw Richter diesen Part → auf einem modernen Konzertflügel musiziert.

Wie auch immer: Für Abwechslung ist in diesen sechs Werken gesorgt. Nicht einer der 18 Sätze ähnelt einem andern, sie alle sind in Ausdehnung und Machart vollkommen verschieden. Und enthalten, 's wär net Bach, zu allem Überfluß einige kontrapunktische Spielereien von unfaßbarem Zuschnitt: In Nr. 6, dem vermutlich ältesten Werk der Sammlung, etwa einen Bratschenkanon auf engstem Raum.

Unterhaltungsmusik

Die Musik ist dabei freilich dermaßen gewinnend und im besten Sinne unterhaltend - keiner wäre in jener Epoche auf den Gedanken gekommen, derlei Hervorbringungen unter die Rubrik »ernste Musik« zu reihen - daß kaum jemand beim Hören sich bemüßigt fühlen wird, einen Gedanken auf die Betrachtung der hochkomplexen Strukturen zu verschwenden, die zugrundeliegen.

Diese »Brandenburgischen« sind eines der Wunder der Musikgeschichte. Man weiß das, aber wann, Hand aufs Herz, hat man Gelegenheit, diese Werke im Konzersaal genießen zu können?

Aufnahmen gibt es von der Sechsergruppe allerdings in Hülle und Fülle Für jeden Geschmack.
→ CD-Empfehlungen.

Aufnahme-Klassiker

Eine Pioniertat bedeutete die Gesamtaufnahme aller sechs Konzerte durch Josef Mertin in Wien. Das waren die Anfänge der Originalklang-Bewegung. Der junge Nikolaus Harnoncourt saß damals noch am Cello und musizierte mit. (Supraphon)

Wie eine Botschaft aus einer anderen Welt wirkt heute Herbert von Karajans Video-Version des Konzerts Nr. 3. (Digital Concerthall)

Bach um 1970 - Karl Richter galt als treuester Sachwalter dieser Musik in den Jahren des Übergangs zur sogenannten »historisch informierten Aufführungspraxis«. (DG)

Nikolaus Harnoncourts Video-Produktion, gekoppelt mit einer »inszenierten« Aufführung der Kaffeekantate mit Janet Perry und Robert Holl. Das war Bach-State-of-the-Art in den Achtzigerjahren (DG).

↑DA CAPO