15. September 1998

KRITIK: STAATSOPER

Zigeunermädchenreport

Staatsoper. »Carmen« mit etlichen Rollendebüts im verschlampften Rahmen einer einstigen Zeffirelli-Produktion. Musterbeispiel für eine Repertoireaufführung, in der alles ordentlich über die Bühne geht, in Wahrheit aber nichts wirklich funktioniert.

In der Staatsoper geht man, das ist sympathisch, hin und wieder aufs Ganze. Zum Beispiel im Falle von Bizets "Carmen", in der diesmal ausschließlich Debütanten in den wichtigen Rollen agierten. Jose Cura und Anthony Michaels-Moore sangen erstmals im Haus am Ring Don Jose und Escamillo, die Damen Beatrice Uria-Monzon (Carmen) und Krassimira Stoyanova (Micaela) sind überhaupt neu für Wien. Das ist ein Wagnis, zumal dann, wenn eine Inszenierung wie jene von Franco Zeffirelli bereits an die 20 Jahre alt ist und nicht nur die Hauptdarsteller spürbar als ihre eigenen Regisseure fungieren dürfen. In der Staatsoper erscheinen die von Chor und Statisterie geprägten Tableaus (der Personalreduktion wegen?) oft armselig und/oder unbeholfen arrangiert, vom Auftritt der abzulösenden Wache (waren alle Herren da, die Dienst zu machen gehabt hätten?) bis zur Balgerei am Ende des ersten Akts. Das bildet den Rahmen, innerhalb dessen sich die neuen Künstler zu bewähren haben. Sie sind also offenkundig ziemlich auf sich allein gestellt, denn man erwartet in diesem Ambiente von ihnen, daß sie die Tragödie so spannend und mitreißend nacherzählen, wie diese im besten Fall sein sollte. Dem stehen etliche Fakten entgegen. So die Tatsache, daß Beatrice Uria-Monzon die aparte und gepflegte Erscheinung einer Mittelschülerin aus gutem Hause mitbringt. Schon ihr erster Auftritt wirkt, als wäre Pause weniger in einer Zigarettenfabrik als im Lycee. Ganz passend dazu der mehrheitlich dezente, immer wohltönende Gesang, der zu den neckischen, zwischendurch eingestreuten Gesten gar nicht paßt. Leicht vorstellbar, daß dieselbe Künstlerin, hätte sie als Massenets Charlotte debütiert, einen sensationellen Erfolg verbuchen hätte können.

Cura: Im falschen Genre?

Ähnliches gilt für Anthony Michaels-Moore, der wie viele Vorgänger, nur noch etwas krasser, an der tiefen Tessitura des Toreadors scheitert. Auch bei Jose Cura wird man den Abend lang das Gefühl nicht los, er präsentiere sich im falschen Genre. Wo immer große Linie, anschmiegsame Phrasierung verlangt wird, bleibt sein Tenor steif und unflexibel. Ein paar Momente dramatischer Natur verraten Curas wahres Talent. Es kann sich bei Bizet nicht entfalten. Bleibt die neue Micaela, die ihre Arie mit schlankem, etwas metallischem Timbre wunderbar zu singen versteht.

Allein auch hier müßte kritisch eingewendet werden, daß die vielen Portamenti und expressiven Drücker in dieser Oper stilistisch nichts verloren haben. Das berührt freilich das Problem musikalischer Einstudierungsarbeit, von der weder bei den Ensemblesätzen noch im Orchestergraben viel zu bemerken ist. Marcello Viotti bringt zwar vor allem die zarten Passagen der Partitur stimmungsvoll zum Klingen, begleitet auch die Sänger aufmerksam, drängt die Musiker aber dort, wo Bizet zündende Rhythmen vorgibt, des öfteren in hart und vor allem ziemlich unpräzis klingende Abenteuer.

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↑DA CAPO