21. Oktober 2003
KRITIK: STAATSOPER
Ein Falstaff zum Quadrat
Staatsoper. Verdis Alterswerk "Falstaff" wurde in der Neuproduktion zum feinsinnigen Sängerfest.
Das war immer die Dirigenten-Oper par excellence. Kein Meisterwerk der Musikgeschichte wurde in Wien von Pultvirtuosen so gehätschelt wie Verdis "Falstaff". Die Premieren und Wiederaufnahmen des vergangenen halben Jahrhunderts leiteten Karajan, Bernstein, Solti und Maazel. Aus symphonischem Geist geboren, verdichteten sich die genialen musikalischen Eskapaden in Miniaturform da launig zur genialen Opern-Maskerade. Sänger waren zugelassen.
Fabio Luisi, der Dirigent der jüngsten "Falstaff"-Premiere im Haus am Ring, kehrt den Spieß um. Er ist ein uneitler Künstler, nimmt jegliche orchestrale Vorwitzigkeit zurück und sorgt für feinsinnige, behutsam-leise Kammermusik. So wie er im Repertoire etwa Puccinis Rubato-Melodien anschmiegsam dem jeweiligen Atem der Sänger anzupassen weiß, fokussiert er auch dann, wenn er eine Oper minuziös einstudieren darf, das musikalische Geschehen auf den Gesang. Das macht ihn für die Protagonisten wohl zum Wunschdirigenten einer solchen Produktion. Und es erweist sich als ideale Gangart für eine Aufführung, die dermaßen gut, in vielen Fällen ideal besetzt ist, wie diese.
Selten hat sich in der jüngeren Vergangenheit der Wiener Oper ein so ausgewogenes, perfektes Sängerensemble auf der Bühne vereint. Bryn Terfel ist heute gewiss der ideale Interpret des Titelhelden, ein Sänger, der klug und mit hintergründigem Witz die tausend Pointen Verdis serviert, der vokal wie gestisch ein Feuerwerk an verschmitztem Humor abbrennt, ohne auch nur einmal in die Nähe der Überzeichnung zu geraten. Dezenter und gleichzeitig präziser kann auch ein Schauspieler eine Shakespeare-Figur nicht gestalten. Die Gesangskunst erhebt diese Leistung dank Verdis musikalischer Gemmen zum Quadrat.
Der Mister Ford von Carlos Alvarez, das ist der Glücksfall dieser Aufführung, nimmt die Herausforderungen des dickleibigen Sir John in jeder Hinsicht an. Stimmlich von kerniger Kraft, vieldeutig in der Aussage, kann Alvarez dem Titelhelden Paroli bieten. Die Auseinandersetzung der beiden im dritten Bild wird daher zum Gipfelpunkt der Premiere. Tönende und optische Charakterisierungskunst kommen zu höchster Blüte.
Auflösung gegen Ende hin
Auch die Damen ziehen alle Register musiktheatralischer Kunst. Jane Henschel gelingt eine köstliche Studie der von den Triebkräften Neugier und Geschäftigkeit aus der Betulichkeit in die Intriganz getriebenen Mrs. Quickly, die auch stimmlich zu urkomischen Akzenten begabt ist. Krassimira Stoyanova singt die Alice fein differenziert, wechselt vom lyrischen Wohllaut virtuos zur beißenden Karikatur und dann gottlob gleich wieder zurück. Elina Garanca gelingt das Kunststück, die Meg Page von der Stichwortbringerin zur Hauptrolle zu adeln: Jeder Ton aus purem Mezzo-Gold.
Selbst die kleinen Partien sind perfekt besetzt, Michael Roider als Cajus sowie das köstliche Dienerpaar von Herwig Pecoraro und Alfred Sramek dürfen unter die Kategorie luxuriös gebucht werden. Nur die stimmlich allzu unbewegliche Tatiana Lisnic kann als Nannetta nicht mithalten. Sie bleibt eindimensional und verschenkt an der Seite ihres Fenton, dem kurzfristig eingesprungenen, sich wacker schlagenden Cosmin Ifrim, die entscheidenden ersten zehn Minuten des letzten Bilds.
Da wird offenbar, dass auch Marco Arturo Marellis zunächst witzige, clowneske Inszenierung im dritten Akt an eklatanter Einfallslosigkeit zu leiden beginnt. Mag man zu Beginn darüber diskutieren, ob Sir John Falstaff tatsächlich ein abgehalfterter, fett gewordener Harlekin sein darf oder ob nicht doch der Rest eines Edelmanns in ihn schlummern sollte. Im fünften Bild beginnt die stimmlich so sensibel differenzierte Charakterzeichnung Bryn Terfels sich von der allzu simplen szenischen Gestaltung auffällig zu lösen. Das sechste Bild wird mangels stringenter Einfälle vollends zur camouflierten konzertanten Aufführung.
Da verliert sich, was Marelli zunächst doch gut gelungen war. Hie die schmuddelige Absteige des Sir John, zwischen bunten Fässern und Rohren, da die leere Schräge der bürgerlichen Welt, die mit wenigen Versatzstücken auskommt, um vor allem über Dagmar Niefinds Kostüme Atmosphäre zu schaffen: pastellfarbig bekleidet und schmuckbehängt die Damen, in kuriosen Gehröcken samt Zylinder die Herren. Gestelzt ist da alles und unrealistisch überzeichnet. Einer will den dicken Falstaff mit dem Schmetterlingsnetz erhaschen.
Der liebenswerte Surrealismus verliert sich zuletzt ins Nichts. Aber da ist das Schicksal des Abends längst beschieden. Das Publikum jubelte einhellig über die stimmlichen Glanzleistungen.
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