Keith Warner
Der Regisseur im Gespräch über „Don Juan“, Sex und den Tod
19. Juli 2006
Natürlich muß die ,Don-Giovanni'-Inszenierung auch für sich allein bestehen können", meint Regisseur Keith Warner, "schon weil wir sie gesondert nach Kopenhagen übersiedeln möchten. Aber die Chance, einen ,Don-Juan'-Zyklus zu zeigen, ist schon eine besondere Herausforderung."Wenn sich am Donnerstag im Theater an der Wien der Vorhang über "Don Giovanni" hebt, markiert das nur den Beginn der ersten von zwei Premieren, die knapp hintereinander einer speziellen Dramaturgie des Wiener Musik-Sommers folgen: Warner inszeniert quasi als Fortsetzung der Geschichte auch "Flammen" von Erwin Schulhoff, ein erstaunliches Werk der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. "Man wird nun gewiß nicht finden, daß in diesem Stück alles von der ersten bis zur letzten Note genial ist, aber die ,Flammen' enthalten viel fantastische Musik und sind für ihre Zeit eine unglaublich fortschrittliche Komposition, eine Dekonstruktion des Mythos sozusagen, die mit vielen originellen musikalischen Momenten sehr nachdenklich machen könnte über die Figur des Don Juan."
Mozart, Casanova, de Sade: Kataloge!
Für Warner ist auch Mozarts Werk keineswegs, wie viele meinen, ein Stück über die Freuden der hemmungslos ausgelebte Sexualität. "In Wahrheit", sagt er, "handelt es viel mehr von der Einsamkeit.
Es geht doch, nicht nur in der Registerarie des Leporello, bei Don Giovanni viel eher um die Lust am Katalogisieren - der Liebesabenteuer, der Frauentypen nämlich - als um die Lust an der Liebe, an der Sexualität. Das ist wie bei de Sade oder Casanova."
Auch mit dem Tod hat "Don Giovanni" in Warners Wahrnehmung mehr zu tun als mit der Liebe: "Ich sehe da", sagt er, "vielleicht die Krise der Aufklärung. Der Mensch allein im All - was ist das Leben, wenn man Gott aus der Mitte verdrängt hat? Ich glaube, Don Giovanni ist faszinierender, vielschichtiger, als er je gezeigt wurde, als er vielleicht je gezeigt werden kann."
Sein Rüstzeug hat Warner unter den Fittichen von David Pountney in dessen Zeit als Chef der English National Opera in London erworben. "Man hat uns damals sehr angefeindet, zunächst", erinnert sich Warner an die frühen Achtzigerjahre.
Doch bald habe sich herausgestellt, daß das Publikum begeistert die Innovationen mitträgt: "Und heute, wenn Sie jemanden in London fragen, gilt diese Zeit als die Hochzeit der ENO! Das lag", so Warner, "auch daran, daß fast alle heute vielbeschäftigten englischen Regisseure durch Pountneys Schule gegangen sind."
Warner freut sich, subtile Verbindungen zwischen Mozart und Schulhoff herstellen zu können. Und er ist überzeugt, daß die Entscheidung, einmal die so genannte Wiener Fassung des "Don Giovanni" zu präsentieren, goldrichtig ist: "Man soll", sagt er, "jedenfalls entweder die Prager oder die Wiener Version wählen, wie die genialen Musiktheaterleute Da Ponte und Mozart sie auf die Bühne gebracht haben." Die gängige Mischfassung mit beiden Tenor-Arien hält er für dramaturgisch nicht überzeugend.
Am Ende steht die Höllenfahrt
Wiener Musikfreunde kommen so jedenfalls in den Genuß eines Duetts zwischen Zerlina und Leporello, das so gut wie nie aufgeführt wird, und das Mozart für die Wiener Premiere als Ersatz für die kurze Leporello-Arie im zweiten Akt komponiert hat. "Bis dorthin", plaudert Warner aus der Schule, "ist dieser Akt besonders schwer. Wenn einmal die Friedhofszene erreicht ist, geht es wie von selbst, davor aber muß man trachten, den Spannungsbogen aufrechtzuhalten."
Enden wird die Aufführung mit der Höllenfahrt des Titelhelden - "wir gehen," sagt Warner, "dann doch betroffener aus dem Theater und fragen uns: War er nun ein Held oder ein Bösewicht? Das ist besser, als wenn danach noch ein moralisierendes Sextett folgt. Ich mag ja auch Regisseure nicht, die uns mit dem Holzhammer suggerieren: Das sollst du denken, so mußt du das sehen!"
Seinen persönlichen Weg zum Theater beschreibt Warner als erstaunliche Entwicklung aus einer vollkommen unmusischen Kinderstube zum Dauergast auf den billigen Plätzen der English National Oper, dem damaligen Sadlers Wells Theatre. Aufführungen wie "Tristan" in englischer Sprache unter Leitung des legendären Reginald Goodall haben ihn geprägt und zum Opernfanatiker gemacht.
Dabei war es zuerst das Sprechtheater, "eigentlich", sagt er, "die Sprache überhaupt", die ihn gefesselt hat: "Ich erinnere mich noch, daß es ein Donnerstagnachmittag war, als ich das Radio aufgedreht hatte und ein Stück von Shaw hörte: Der Sprachfluß hat mich hingerissen." Ein durchaus musikalischer Zugang also zur Bühnenkunst, der sich Warner dann als Mitglied von Jugendtheatergruppen willig hingegeben hat: "Es kam für mich nichts anderes mehr in Frage, zuerst wollte ich vielleicht Schauspieler werden. Aber dann haben mich schon Bühnenbild und Regie gefesselt."
"Nicht nur Theaterluft atmen . . ."
Zur Laienarbeit kehrt der viel beschäftigte Künstler nach seinem Wiener Sommerabenteuer zurück.
In Newcastle inszeniert er die Uraufführung einer Kurzoper, die eigens für eine kleine Operntruppe geschrieben wurde, die mit Obdachlosen arbeitet. "Das ist unglaublich", erzählt er, "denn viele von den Gestrandeten, die da mitmachen, schaffen es danach, sich wieder ins Leben einzugliedern. Sie kriegen sogar Arbeit!"
Nach Wien wird Warner in den nächsten Spielzeiten des Öfteren zurückkehren. Im Theater an der Wien inszeniert er nicht Janaceks "Katja Kabanova" (musikalische Leitung: Kirill Petrenko) und Haydns "Orlando paladino" (mit Harnoncourt). Kommende Spielzeit führt ihn die "Frau ohne Schatten" ("ohne jeden Strich"!) nach Hamburg zu Simone Young und Berlioz' "Faust Verdammnis" nach Dresden.
Londons Covent Garden Opera spielt im Herbst erstmals den kompletten "Ring des Nibelungen" in Warners Inszenierung, die im Frühjahr mit der "Götterdämmerung" abgeschloßen wurde.
Dazwischen muß es freilich auch Pausen geben. "Man muß auch das Leben leben", sagt er, "nicht nur Theaterluft atmen. Sonst ist man einer von den Regisseuren, die mit ihren Arbeiten nicht das Leben spiegeln, sondern nur Kommentare zu Produktionen von Kollegen abgeben . . ."