Margarethe Wallmann
4. Mai 1992
Als Bruno Walter zu dirigieren vergaß
Zum Tod der Tänzerin und Regisseuse Margarethe Wallmann
Als man dem großen Bruno Walter nach der Premiere von Glucks »Orpheus und Eurydike« anläßlich der Salzburger Festspiele 1931 gratulierte, weil er so phantastisch dirigiert hätte, konterte er: »Dirigiert? Ich habe ganz vergessen zu dirigieren, ich habe die Choreographie bewundert«. Das einzigartige Lob galt Margarethe Wallmann, die damals ihre erste Arbeit für die Festspiele geliefert hatte und mit dieser, allgemein als »atemberaubend« apostrophierten Leistung den Grundstein zu einer bemerkenswerten Karriere legte.
Die im Juni 1904 in Wien geborene Künstlerin war zuerst Tänzerin, in der Wiener Hofoper ausgebildet und ab dem 16. Lebensjahr Schülerin der legendären Marie Wigman in Dresden. Der soliden klassischen Schulung war also die Ausbildung in den damals modernsten Ausformungen des Ausdruckstanzes gefolgt. Ein Potential, das die offenkundig kreative Wienerin für sich weiterzuentwik keln und in verschiedensten Bereich zu nutzen verstand.
Ihre »erstaunliche Fähigkeit zu phantasievoller tänzerischer oder pantomimischer Ausdeutung der Musik« war für Bruno Walter noch viele Jahre nach den aufsehenerregenden Arbeiten in Salzburg Grund zu schwärmerischen Erinnerungen in seiner Autobiographie. Daß der Wallmann späterhin der Ruf der großzügigen Arrangeurin mit Hang zum teuersten Ausstattungstheater angedichtet werden sollte, war für den sensiblen Dirigenten wohl unverständlich.
Margarethe Wallmann wurde dank ihres offenkundigen Einfühlungsvermögens in musikalischdramaturgische Erfordernisse bald auch für Regieaufgaben herangezogen. Freilich nicht nur im Opernbereich. Während sie an der Mailänder Scala arbeitete, entdeckte sie der Film. Für Hollywood choreographierte sie ausladende Tanzszenen, so etwa »Anna Karenina« 1935.
Amerika gewährte der Künstlerin nach der Besetzung Österreichs durch die Nationalsozialisten auch Asyl. Buenos Aires wurde zu ihrer zweiten künstlerischen Heimat. Ende der vierziger Jahre kehrte die Wallmann - nun Margherita genannt - nach Europa zurück. Für die Wiener Staatsoper erarbeitete sie in der Ära Karajan Inszenierungen wie »Don Carlos«, »Macht des Schicksals« (unter Mitropoulos), die Erstaufführung von Pizzettis »Mord in der Kathedrale« (unter Karajan) sowie jene »Turandot«, über deren gigantischen Ausstattungszauber - samt meterlanger, prachtvoller Schleppe für die Titelheldin - der Direktor Karajan aus finanziellen Gründen beinahe »gestolpert« wäre.
Freilich: Die Wallmann-Produktionen waren nicht nur prunkvoll, sondern gleichzeitig auch das, was heutige Direktoren gern »praktikabel« nennen. Ihre »Tosca« steht heute, über dreißig Jahre nach der Premiere unter Karajan mit Renata Tebaldi, immer noch im Repertoire. Seither haben sich Sängerinnen wie Rysanek, Nilsson, Leontyne Price oder Mara Zampieri im stimmigen Kontext zurechtgefunden und aufregende Opernabende gestaltet. Weil die Wallmann tat, woran heute viel zu wenige Regisseure glauben: Sie hat das Stück inszeniert, wie es in Text und Musik zu finden war. Nicht mehr und nicht weniger.
So überdauert ihre Arbeit ihr langes, erfülltes Künstlerleben. Margarethe Wallmann starb 1992 87jährig in einem Krankenhaus in Monaco an den Fogen eines Herzleidens.