Johannes Schaaf
November 2019
Nachruf auf den großen Theatermann, der im Burgtheater, der Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen richtungsweisende Inszenierungen schuf und heikelste Aufgaben von Lessing bis Strauss subtil bewältigte.
Er war schon eine Größe, gewiss, er hatte schon am Burgtheater inszeniert – unter anderem Schnitzlers „Ruf des Lebens“ mit Attila Hörbiger –, als Büchners „Leonce und Lena“ mit Klaus Maria Brandauer und Marianne Nentwich im Salzburger Landestheater über die Bühne ging. Aber in diesen Augusttagen des Jahres 1975 war er ganz „da“, man meinte, den neuen Theaterkönig für die Festspiele gefunden zu haben.
Giorgio Strehler hatte sich ja im Jahr zuvor nach dem eklatanten Misserfolg seiner mit Herbert von Karajan erarbeiteten „Zauberflöte“ unter Donner und Blitz verabschiedet – und nun spielte doch eine junge Schauspieler-Riege Büchners heikles Stück in all seiner Fragilität und Halbverrücktheit, ganz poetisch schwebend im Unwirklichen; nie konnte man an diesem Abend sicher sein, dass nicht in eine dieser entrückten, schwerelos wirkenden Marionetten plötzlich der Teufel fahren könnte.
Über dem Abgrund.
Doch es blieb beim zauberisch über einem nie sicht-, immer spürbaren Abgrund schwebenden Ballett der Gefühle, Ahnungen, Gedanken. Die Handlungsfäden, die sich da verwirrten, waren aus zarter Seide. Johannes Schaaf hatte sie geknüpft. Er war ein Mann fürs Hintergründige, Cinephile wussten das von manchem filmischen Dokument seiner psychologischen Kunst. Für Film und Fernsehen inszenierte Schaaf am Beginn seiner Karriere, immer noch gern selbst schauspielernd, aber vor allem seine Kollegen ordnend und führend.
Nicht lange nachdem die Mauer Berlin in zwei Teile trennte, war es Schaaf, der in die Seele der Jugendlichen leuchtete, die sich im Westen dieser Trennlinie nicht so frei fühlten, wie die Elterngeneration das gern gesehen hätte – 1967 hatte „Tätowierung“ Premiere und wirkt aus der späten Draufsicht wie eine gefährlich treffsichere Diagnose der Ursachen der Studentenrevolte, die unmittelbar folgen musste.
Heikle Balanceakte.
In Salzburg lud Karajan Schaaf dann ein, sich mit dem Musiktheater zu befassen. Nach einem wunderbar den lehrreichen Aufklärungsgeist in herzhafte Komödiantik auflösenden „Nathan“ gab es 1985 Richard Strauss' „Capriccio“. Die Produktion wurde zu einer der sensibelsten, überzeugendsten Operninszenierungen, die bei den Festspielen je zu sehen waren. Das Werk, es gilt sonst als Ladenhüter, blieb mit Anna Tomowa-Sintow als Gräfin drei Spielzeiten lang auf dem Programm.
Schaaf hatte sich durch einen Satz des Librettos inspirieren lassen, den seither sämtliche Dramaturgen wissend zitieren, aber kein Regisseur auch nur annähernd so stimmig zu deuten wusste: „In Ihrem Salon vergehen die Stunden, ohne dass die Zeit älter wird“, meint die Schauspielerin Clairon im Abgehen zur Gräfin – bei Schaaf schimmerte in sanftesten Andeutungen das Zeitenkontinuum durch und spiegelte die anachronistische Situation, in der diese Oper entstand: Richard Strauss träumte sich in ästhetische Diskussionen des Rokoko zurück, während der Zweite Weltkrieg tobte. Nie wieder hat eine Inszenierung das Unmögliche möglich gemacht, diesen Zwiespalt auf die Bühne zu bringen, ohne dem Esprit von Musik und Dichtung Gewalt anzutun.
Spätere Opernversuche Schaafs gerieten nicht immer so überzeugend. Vor allem deshalb, weil dann nicht mehr das Salzburger Besetzungsbüro der Karajan-Ära die Sänger wählte, sondern vor allem er selbst das Sagen hatte – und dabei spürbar nicht immer den vokalen Kriterien den gleichen Rang zugestand wie den optischen.
Starke Bilder fand er immer, etwa im zumindest stellenweise packenden Wiener „Idomeneo“. Nikolaus Harnoncourt dirigierte damals, wie auch bei Schaafs letzter Staatsopern-Produktion. Sie galt „Così fan tutte“ – und da war die Deutungswut mit dem Leading Team durchgegangen, das sämtliche Buffo-Elemente ausradierte. „Così“ mag eine Tragikomödie sein, steht aber nicht durchwegs in Moll. Als restlos schwarzer Totentanz konnte das Werk seinen Zauber nicht entfalten.
Blick durchs Objektiv.
Meist aber hat es Johannes Schaaf verstanden, seinen ursprünglich durch die Filmkamera geschärften Blick auf menschliche Ausdruckskunst für den Blickwinkel des Theaterzuschauers zu fokussieren. Nach der Jahrtausendwende machte er sich rar. TV-Auftritte als Schauspieler, teils auch in beliebten Serien, hatte er schon in den Achtzigerjahren zurückgelegt. Die Verfilmung von Michael Endes Erfolgsroman „Momo“, 1986, war seine letzte Arbeit fürs Kino gewesen, deren Drehbuch er im Verein mit dem Autor und seiner langjährigen Lebenspartnerin, der Schauspielerin Rosemarie Fendel geschrieben hatte.
Seit 1984 war Schaaf mit der Sängerin Stella Kleindienst verheiratet. Sie starb im Jänner 2019. Johannes Schaaf folgte ihr wenige Monate später nach.