August Everding
1999
August Everding, einer der umtriebigsten Theatermacher Deutschlands, warvor allem eines: ein großer Ermöglicher.
Über seine Inszenierungen konnte man des öfteren sehr unterschiedlicher Meinung sein. Das gab er selber auch gerne zu, denn er war ein Vertreter jenes Theaterverständnisses, demzufolge das Bühnenleben immer, aber wirklich immer in Bewegung bleiben müsse. Wer rastet, der rostet. Das hätte August Everdings Wahlspruch sein können.
Gerastet hat er nie. Und daß er in den Augen des Publikums nicht "gerostet" ist, daß seine Ästhetik auch den fortschrittlichsten Kommentatoren des deutschen Feuilletons doch immer noch eine kritische Betrachtung wert war, dafür hat er bis zuletzt gesorgt. Also konnte man sich darauf verlassen, daß man sich beim Künstler Everding auf nichts verlassen konnte. Einen einmal eingeschlagenen Weg als alleinseligmachend zu bezeichnen, lag ihm fern. Regie für höhere Zwecke
Ein Everding-Stil war nie zu erkennen. Das war sein Stil. Daran war er zu erkennen. Vor allem aber: Er hat in unermüdlicher Arbeit jenseits des Regieführens immer dafür gesorgt, daß die Theaterlandschaft aufregend blieb, daß übers Theater _ und nicht nur über das jeweils von ihm geleitete _ im Gespräch geblieben ist. Das galt für die Münchner Kammerspiele, denen er schon als 34jähriger als Direktor vorstand.
Das galt für die Hamburger und die Bayerische Staatsoper. Und das galt noch in viel höherem Maße für die gesamte Münchner Theaterszene, sobald Everding zum "Generalintendanten" ernannt wurde. Seit der Übernahme dieses Amtes war der gebürtige Westfale, der bald zum Wahlbayern mutierte, darum bemüht, das legendäre Prinzregententheater, das zu verfallen drohte, wieder zu beleben. Was undenkbar schien, wurde Wirklichkeit: Zuerst als Konzertsaal, dann wirklich auch wieder als Musiktheater bespielbar, präsentiert sich das "Prinze", wie es die Münchner liebevoll nennen, heute als Juwel. Ohne Everding, das weiß man in der Bayerischen Hauptstadt genau, wäre das historische Bauwerk nach Bayreuther Vorbild längst abbruchreif. Nur er, das war allen Beteiligten klar, hatte die Energie und die politischen Verbindungen, die nötig waren, um ein solches Projekt zu realisieren. Mit dem ihm eigenen Impetus hat August Everding derlei Dinge stets lustvoll realisiert.
Münchens Theater-Motor
Wer ihn einmal reden gehört hat, wer erleben durfte, daß selbst ein Marcel Reich-Ranicki von diesem Mann kurzfristig zum Statisten auf dem Podium degradiert wurde _ um dann freilich schnell wieder zum gleichberechtigt eloquenten Partner zu werden _, der weiß, warum auch skeptische Politiker umschwenkten, sobald Everding, leidenschaftlich überzeugt, auf sie einredete. Dann war er ganz und gar unausweichlich.
Man verzieh ihm darüber in München sogar, daß er mit dem beliebten Dirigenten und Opernchef Wolfgang Sawallisch eine langdauernde Fehde austrug, nein: inbrünstig pflegte. Auch sie zeitigte schließlich künstlerisch die eine oder andere positive Folge.
Seine Studenten an der Münchner Musikhochschule und an der Universität profitierten von Everdings Eloquenz selbstverständlich ebenso und erinnern sich dankbar nicht nur an bereichernde Vorlesungen, sondern auch an die Durchsetzungskraft, mit der dieser Künstler dem Nachwuchs half. Viele Auszeichnungen hat August Everding für diese und seine übrigen Aktivitäten erhalten. Jetzt ist sein rastloser Einsatz für die Kunst jäh beendet worden: der Künstler starb 70jährig in der Nacht zum Mittwoch in München an Krebs.