Astrid Varnay
In dieser Stimme wurden Schicksale hörbar
Über eine der bedeutendsten Wagner-Heroinen des 20. Jahrhunderts.
Astrid Varnay war fast gleich alt wie Birgit Nilsson. Seite an Seite haben die beiden Schwedinnen die Geschichte der Wagner-Interpretation nach 1945 maßgeblich beeinflusst. Doch während die Nilsson auf europäischen Bühnen dominierte, war die Varnay - jenseits von Bayreuth - vor allem für das amerikanische Publikum der Inbegriff der Brünnhilde, der Isolde, zuletzt von Charakterpartien des Mezzo-Fachs, allen voran der Herodias und der Klytämnestra in den beiden radikalen, für die Moderne prägenden Einaktern von Richard Strauss.Es war auch eine Vorstellung der "Elektra", in der die beiden Künstlerinnen in Wien zuletzt gemeinsam auf der Bühne zu erleben waren, die Nilsson als Elektra, die Varnay als zerrüttete, halb von Angst, halb von Hass getriebene Mutterfigur. Das war 1974. In der Staatsoper waren die Auftritte Astrid Varnays vergleichsweise ein Rarissimum geblieben. Bayreuth hingegen, in den Jahren, als Wieland Wagner seine hochsensible szenische Revolution veranstaltete, war Heimstätte für die Sängerin, die mit machtvoller Stimme nicht nur Momente euphorischer Entfaltung, sondern auch leise, geheimnisvolle Passagen intensiv psychologisierend zu gestalten vermochte. In München, ihrer Wahlheimat, konnte man sie bis in die Neunzigerjahre in kleinen Partien erleben.
Verdeckte und unerwartete Debüts
Doch erinnern unzählige Tondokumente, auch solche, die erst nach Ablauf der Schutzfristen jetzt nach und nach in den Handel kommen, an die große Zeit der Wagner-Heroine. Das Debüt an jenem Haus, das ihr künstlerisches Zentrum werden sollte, an der Metropolitan Opera von New York, ist in Form eines Mitschnitts auf CD greifbar: Für Lotte Lehmann war die Varnay unter Erich Leinsdorfs Leitung als Sieglinde in der "Walküre" eingesprungen. Dem sensationellen Einstand folgte wenige Wochen später schon das Debüt als Brünnhilde. Ab diesem Zeitpunkt war die Varnay erste Wahl für die kräfteraubendsten Herausforderungen des deutschen Repertoires, fernab jenes Verdi-"Troubadours", in dem sie - unter Pseudonym - an der Seite ihrer Mutter (sie sang die Leonore) als Ines erstmals auf der Bühne gestanden war. Mit diesem verdeckten Debüt an der Brooklyn Academy begann im Jahr 1937 eine der steilsten Karrieren der jüngeren Operngeschichte.
Das Kind ungarischer Emigranten (auch der Vater war Sänger gewesen) wurde über Jahre hin zur Hochdramatischen schlechthin, deren Bühnentemperament jede Seelenregung zu vermitteln wusste; auch noch dann, als es längst nicht mehr um die zentralen Rollen ging, sondern etwa um die Amme in Mussorgskys "Boris Godunow". In ihrer Stimme wurden Schicksale hörbar.