Ludwig Suthaus

1906 - 1971

Einen Karrierebeginn wie seinen haben wenige Interpreten aufzuweisen: Ludwig Suthaus begann als Teenager Anfang der Zwanzigerjahre eine Steinmetzlehre. Daß seine Stimme entdeckt wurde, war purer Zufall. Daß er zu einem der führenden Heldentenöre seiner Zeit werden konnte, nicht minder: Sein Gesangslehrer hielt ihn für einen Bariton und studierte mit dem 17jährigen den Wotan und die Partien der Bösewichte in Offenbachs Hoffmanns Erzählungen.

Mit dem gerade im Wagnerfach so wichtigen tiefen Register hatte Suthaus denn auch nie Schwierigkeiten. Sein Tenor - er wußte selbst, daß er einer war - blieb aber bis zu seinem Autounfall im Jahr 1960, der die Karriere beendete - auch in der Höhe strapazfähig. Zudem vermochte er seine Partien in den entscheidenden Momenten durchaus nobel zu phrasieren.

Alban Bergs Empfehlung

Und es war gerade die extreme tenorale Höhe, die ihm zum entscheidenden Sprung in seiner Karriere verhalf: In einer der frühesten Inszenierungen von Alban Bergs Wozzeck in Aachen sang Suthaus die verhältnismäßig kleine, aber heikle Partie des Andres. Der Komponist war schon bei den Schlußproben dabei und geriet angesichts der mühelos bewältigten hohen Bs und Cs, die Suthaus lieferte, ins Schwärmen. An seinen Freund Erich Kleiber, den Uraufführungs-Dirigenten seiner Oper, schrieb Berg einen begeisterten Brief mit der Frage, ob man für diesen unglaublich begabten jungen Tenor (Suthaus war gerade 23!) nicht einen Platz in Berlin hätte. Kleiber griff zu. Die Oper unter den Linden wurde Suthaus' Heimathaus.

Furtwänglers Tenor

Wilhelm Furtwängler entdeckte Suthaus Mitte der Vierzigerjahre für sich, und holte ihn für die Studioproduktionen der Walküre in Wien und von Tristan und Isolde in London ins Studio. Die Aufnahmen lassen bis heute hören, daß die Zeitgenossen diesen Sänger ziemlich unterschätzt haben. Gewiß, die Konkurrenz war groß, aber Suthaus gehört in Furtwänglers maßstabsetzenden Aufnahmen zu den bedeutenden Stützen des Ensembles. Er sang auch den Siegfried in Furtwänglers Produktion des Rings des Nibelungen für die RAI in Rom.

Das bereits nach der Machtübernahme der Kommunisten im Osten Deutschlands. Suthaus' künstlerische Heimat nun nicht mehr die Lindenoper, sondern die Deutsche Oper im Westen Berlins.

Hörenswert neben den Furtwängler-Aufnahmen nach wie vor auch Suthaus' siegforschende Charakterisierung des Walher von Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg, nicht zuletzt in der mitreißenden Aufnahme unter Hermann Abendroth von den Bayreuther Festspielen - horribile dictu aus dem Kriegsjahr 1943...

Der Stolzing war, ungewöhnlich genug, schon Suthaus' Debütrolle in Aachen gewesen. Da war der Sänger 22 Jahre jung! Geschont hat er sich nie. Mag er auch in der einen oder anderen Einspielung hörbar an seine Grenzen kommen, verlassen hat ihn seine Kraft letzlich nie. Nur in Lauritz Melchior hatte Ludwig Suthaus zu seiner Zeit einen wirklich übermächtigen Konkurrenten, der allerdings nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in deutschsprachigen Landen nicht mehr sang, sondern zum Heldentenor der New Yorker Metropolitan Opera geworden war. Daß man in Deutschland auf einen Mann wie Suthaus nicht verzichten konnte, war schon angesichts des Abgangs von Melchior klar.

Auf Wagner »reduziert«

Durch den Mangel an guten Besetzungsmöglichkeiten für die deutschen Heldenpartien geriet die Vielfalt von Suthaus' Repetoire bald ins Hintertreffen: In seinen ersten beiden Spielzeiten in Aachen hatte er Gounods Faust ebenso gesungen wie den Boris in Janáčeks Katja Kabanova, Verdis Troubadour ebenso wie Wagners Lohengrin, Puccnis Dick Johnson (Das Mädchen aus dem goldenen Westen) ebenso wie Saint-Saëns' Samson.

In der Folge gehörte auch der Alfred in Johann Strauß' Fledermaus oder der Adam in Zellers Vogelhändler zu seinen Partien. Und die geforderten Pianissimo-Höhen des Assad in Carl Goldmarks Königin von Saba beherrschte er wie die heldischen Attacken des Prinzen Calaf (Turandot).

Die Zeitläufte haben aus dem vielseitigen Künstler einen puren Wagner-Helden gemacht, der nach 1945 prompt in eine Stimmkrise schlitterte, aus der ihn konsequentes Training durch einen befreundeten Gesangslehrer befreite. 1949 kehrte Suthaus an die Städtische Oper in Berlin zurück, wo er bis zu seinem verhängnisvollen Autounfall zum Ensemble gehörte.

↑DA CAPO