Leontyne Price

1927

Als Mary Violet Leontyne Price zur Welt kam, gab es in Ohia noch ein sogenanntes »Negro Central State College«, an dem farbige junge Menschen studieren konnten. In politisch korrekten Zeiten unvorstellbar, galt dergleichen damals bereits als höchst fortschrittlich. Daß die unbemein begabte Sängerin mit der sinnlich schönen Sopranstimme ein Stipendium für die renommierte Juilliard School erhielt, war freilich alles andere als selbstverständlich, der Karrierestart bezeichnend: In Serie gibt man am Broadway und auf Europa-Tour von 1952 bis 1954 Gershwins Porgy an Bess. Price ist die Bess an der Seite von William Warfield, der bald ihr Ehemann ist. Und es geht dem Publikum so, wie es der Sängerin zuvor selbst ergangen war:
I was mad about my voice,it was gorgeous.

Das fanden auch die Kenner. Samuel Barber war glücklich, eine ideale Interpretion für die Uraufführung seiner Hermit Songs gefunden zu haben (1953), ein erster Liederabend in New York läßt aufhorchen.

Fernseh-Opern

Die TV-Anstalt NBC wird aufmerksam und holt Leontyne Price ins Filmstudio. Man produziert Fernseh-Versionen von Puccinis Tosca, Mozarts Zauberflöte und den brandneuen, in Mailand uraufgeführten Gesprächen der Karmeliterinnen von Francis Poulenc. San Francisco ruft: Leontyne Price wird zum Liebling des Publikums und reüssiert vor allem als Aida, die sie über Nacht von der indisponierten Antonietta Stella übernimmt und mit der sie im Mai 1958 dann auch unter Herbert von Karajan in einer legendären Repertoire-Aufführung auch an der Wiener Staatsoper debütiert. Londons Covent Garden, Mailands Teatro alla Scala markieren die wichtigsten Stationen der folgenden Traum-Karriere. Die Führung der Metropolitan Opera kann nicht mehr umhin, den neuen Star auf die Bühne zu holen.

Sensation an der Met

Das Debüt, 1961 als Leonore in Verdis Troubadour, wird zur Sensation. Nach »D'amor sull'ali rosee« tobt das Publikum zwanzig Minuten lang: Daß diese Sängerin mit dem sinnlich-weichen Timbre endlose Phrasen modellieren kann, Kraft für enorme emotionelle Ausbrüche mitbringt, dann aber ein hohes Des in lupenreinem Pianissimo zu hauchen imstande ist, bringt die Connaisseurs halb um den Verstand. Paul Jackson, Chronist der samstäglichen Radio-Matineen der Metropolitan Opera, schrieb:
One can only marvel at the incredible beauty of her voice, the surety of her technique, and the authority of her pervormance.
Die Sängerin hat später bekannt, sich in diesem Moment erst voll und ganz akzeptiert gefühlt zu haben - zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich »zu Hause« Sie hatte alle Barrikaden gebrochen, die im damaligen Amerika noch schier unüberwindlich zu sein schienen. Es war erst sechs Jahre her, daß die erste farbige Sängerin, Marian Anderson als Ulrica in Verdis Maskenball auf der Bühne der Metropolitan Opera stehen durfte - für den General Manager Rudolf Bing »einer der stolzesten Momente meines Lebens« Immerhin waren die Plätze für Farbige in den New Yorker Kinos noch separiert, von denen in öffentlichen Bussen zu schweigen.

Leontyne Price wurde nun zur erste echten schwarzen Primadonna der Met. Bis 1985 stand sie 185 Mal auf der New Yorker Bühne. Nicht immer ganz friktionsfrei - das Engagement als Minnie in Puccinis Fanciulla del West schien ihre doch lyrisch basierte Stimme zu überfordern und provizierte eine Krise, die aber bald überwunden war.

Unter Karajans Fittichen

Die spektakulärsten europäischen Auftritte absolviert Leontyne Price unter Herbert von Karajans Leitung. Als Operndirektor setzt der Dirigent, der sie in der Carnegie Hall singen gehört hatte, die Künstlerin in Wien neben Aida unter anderem auch in Tosca ein, die man mit Giuseppe di Stefano in Wien auch für Schallplatten aufnimmt (Decca). Gefeiert wird die Salzburger Festspiel-Premiere des Troubadour mit Franco Corelli. Die Produktion wird 1977 bei den Osterfestspielen noch einmal aufgenommen, mit Franco Bonisolli für Schallplatten aufgezeichnet und dann zur Zelebration von Karajans Comeback nach Wien übersiedelt, doch die TV-Aufzeichnung im Jahr darauf findet ohne die Price statt, obwohl sie vom Publikum im Mai 1977 noch einmal triumphal gefeiert worden war.

Aufnahmen

Die Schönheit der Stimme von Leontyne Price hat immer wieder kühne Vergleiche provoziert. Harold Schonberg, Kritikerpapst New Yorks, nannte sie ihren Sopran »die Stradivari unter den Sängern«. Als Maria Callas sich Mitte der Sechzigerjahre zurückzog, war die Price für viele Kenner die unangefochtene Primadonna. Ihre Arien-Recitals positionierten sie in einem weiten Repertoire-Bogen, der sich von Purcell und Händel über Mozart und Weber bis zu Wagner-Fragmenten und dem französischen Genre zwischen Meyerbeer und Massenet spannte, Spirituals und spezielle Kompositionen des XX. Jahrhunderts inbegriffen. Mit Karajan und den Wiener Philharmonikern ging Price sogar für eine Weihnachtsplatte inst Studio, die alle Verkaufsrekorde brechen sollte. Die volle Leuchtkraft entfaltet die Stimme etwa auch in Ausschnitten aus Richard-Strauss-Opern, die fern ihres Bühnen-Repertoires lagen, die sie unter Erich Leinsdorf aber in bemerkenswerten Aufnahmen von Fragmenten vorlegte: Die Frau ohne Schatten und Die ägyptische Helena. Die Liebe zum Lied-Gesang, den sie vor ihrer Landnahme auf den großen Opernbühnen intensiv pflegte, hat Prcie nie verloren. Daher liegt auch eine immense Fülle von Lied-Aufnahmen vor, chronologisch beginnend mit dem Livemitschnitt der Uraufführung von Barbers Hermit Songs von 1953, die der Komponist selbst am Klavier begleitete. In den großen Zyklen von Berlioz (Nuits d'ete mit Chicago Symphony unter Fritz Reiner) und Richard Strauss (Vier letzte Lieder unter Leinsdorf) überwältigt sie mit der schieren Schönheit der Stimme und mühelosen ausgespannten, langen Phrasen - eher als mit präziser Durchformung sprachlich-melodischer Details. Das hat wiederholt zu leiser Kritik geführt, doch dem Hörgenuß tut das keinen Abbruch.




↑DA CAPO