Julius Patzak

1898 - 1974

Julius Patzak war der rare Fall eines musikalisch umfassend ausgebildeten Sängers. Der geborene Wiener studierte nicht nur Gesang, sondern auch Komposition - bei Franz Schmidt - und Musiktheorie bei Guido Adler und Eusebius Mandyczewski. Er war auch als Dirigent tätig und machte unter anderem eine Einspielung der Zweiten Symphonie seines Lehrers Franz Schmidt mit den Wiener Symphonikern.

Den Sängerberuf erlernte er, wie damals noch üblich, in der sogenannten Provinz. Sein Debüt abolvierte Patzak allerdings bereits in einer großen Partie, als Radames in Verdis Aida in Reichenberg. Von 1928 an gehörte er zum Ensemble der Bayerischen Staatsoper, nach dem Zweiten Weltkrieg war er in seiner Heimatstadt engagiert, wo er bis 1961 regelmäßig auftrat - noch in seiner letzten Saison auch in lyrischen Partien wie dem Tamino (Zauberflöte) und dem Belmonte (Entführung aus dem Serail.) Seinen Abschied feierte er als Herodes in Strauss' Salome im Frühjahr 1961.

Eine Charakterstimme

Die Tatsache, daß die Tenorstimme Julius Patzaks eine besonders charakteristische Färbung aufwies und von Musikfreunden eher dem Charakterfach zugeordnet wird, verdeckt ein wenig die Erinnerung an die eminenten gestalterischen Fähigkeiten dieses Sängers, der über eine fabelhafte Legatotechnik und intelligente, aus dem Wort geborene Phrasierung gebot. Mozart konnte Patzak bis zuletzt tadellos singen, wenn auch bereits die Zeitgenossen ihn eher mit Partien wie Pfitzners Palestrina oder Kienzls Evangelimann identifizierten.

In den Jahren des Exils der Wiener Staatsoper im Theater an der Wien war Patzak freilich auch Rodolfo in Puccinis Bohème oder der Lenski in Tschaikowskys Eugen Onegin. Seine Spannweite reichte von Verdis Rigoletto-Herzog bis zu Wagners Lohengrin. → Schellack-Aufnahmen aus den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren bestätigen, welch makellose Stimmbeherrschung den eminenten Ruf dieses Interpreten begründete. Auf Rollen wie den Florestan in Beethovens Fidelio oder Offenbachs Hoffmann war Patzak in Wien nach 1945 quasi »abonniert«.

Grandios gestaltete Patzak freilich auch Charakterpartien, allen voran den Mime in Wagners Ring des Nibelungen, wozu er in Wien in seiner Ära keine Gelegenheit bekam, weil die Tetralogie nicht auf dem Programm stand. Dafür holte ihn Wilhelm Furtwängler 1953 zu seinem konzertanten Ring-Projekt für die RAI nach Rom, sodaß ein exzellenter Livemitschnitt Patzaks Gestaltungskunst dokumentiert. (EMI)

Was für ein Komödiant in diesem Sänger steckte, läßt sich wunderbar an Clemens Krauss' klassischer Einspielung der Fledermaus von Johann Strauß studieren, wo Patzak an der Seite von Hilde Güden, Anton Dermota und Wilma Lipp brilliert.

Krauss holte Patzak auch für seine Gesamtaufnahme von Richard Strauss' Salome mit Christel Goltz und den Wiener Philharmonikern ins Studio.

Zu den Aufnahme-Klassikern, die Patzak hören lassen, gehört auch die Wiener Studioproduktion von Gustav Mahlers Lied von der Erde unter Bruno Walter, in der der Tenor an der Seite der großen Kathleen Ferrier bestehen kann - daß sein Name auf der CD-Ausgabe, die Decca von dieser grandiosen Aufnahme herausbrachte, kleiner gedruckt stand als jener der Kollegin und des Dirigenten, erzählt freilich viel über den Nachruhm dieses bedeutenen Künstlers.

Unbestritten war Patzaks Leistung als Titelheld in Pfitzners Palestrina. Die Rundfunkproduktion aus Köln unter Richard Kraus von 1952 gehört in jede gut bestückte Opern-Diskographie, zumal Patzak hier an der Seite des grandiosen Borromeo von Hans Hotter zu hören ist und luxruiöse Besetzungen auch für die weiteren großen Partien aufgeboten waren: Dietrich Fischer-Dieskau singt den Morone (der ihm weitaus besser liegt als der Borromeo, den er dann für Rafael Kubelik im Studio gesungen hat), Richard Holm ist der Novagerio, Gottlob Frick der Papst Pius IV.


Für Furtwängler sang Patzak bei den Salzburger Festspielen 1950 den Florestan in einem Fidelio, den man gehört haben muß, wenn man in Sachen existentielles Singen mitreden möchte: Allein Patzaks Arie am Beginn des zweiten Akts gehört zu den größten Seelenstudien, die je von Mikrophonen festgehalten wurden.


Absolute Wortdeutlichkeit in der Deklamation machte Julius Patzak auch zu einem überragenden Oratorien- und Liedsänger. Spät in seiner Karriere, also für Stimmfetischisten, die zuallererst auf die Schönheit einer Stimme achten kaum erträglich, für Kenner dafür umso liebenswerter die Aufnahmen der beiden großen Schubert-Zyklen - in der originalen Tenor-Lage, wie sie komponiert wurden und von einer Intensität, wie sie nur selten erreicht wird. (Preiser)

Wirklich umfassend die Portrait-CD auf Decca, die Patzaks Repertoire von den Arien des Don Ottavio aus Mozarts Don Giovanni und der Arie des Florestan aus Beethovens Fidelio bis zu Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und Wiener Liedern umspannt, in denen Patzak eine unvergleichliche Studie in wienerischem Dialekt-Gesang liefert, unaffektiert, völlig ungekünstelt und damit erhaben über vergleichbare Versuche anderer Wiener Opernstars.






DA CAPO