Rolando Panerai

1924 - 2019

Viel ist die Rede von der epochemachenden Aufführung der Lucia di Lammermoor, 1956, unter Herbert von Karajan mit der Callas und Giuseppe di Stefano. Gern vergessen die Chronisten, wer damals im Bunde der Belcantisten der Dritte war - einer, der souverän über eine der schönsten Baritonstimmen jener Ära gebot: Das ist typisch für Panerais Nachruhm, wie auch für die Geltung, die man diesem Sänger zu Lebzeiten zuschrieb. Da sangen Tito Gobbi und Ettore Bastianini, gewiß. Kenner aber wußten, daß Panerai den beiden Hochgelobten und Vielgeliebten kaum nachstand.

Mehr als ein Vierteljahrhundert lang war Rolando Panerai eine fixe Größe im Ensemble der Mailänder Scala, sang umjubelt auch an der New Yorker Met und immerhin an 131 Abenden an der Wiener Staatsoper, wo ihn nach 35 Jahren der Treue 1992 Ioan Holender zum Kammersänger machte.

Karajan liebte an Panerai dessen ausgeglichenes und ausgleichendes Temperament und bewunderte, daß der Bariton zwischen Aufführungsserien stets nach Hause aufs Land fuhr, um seinen Bauernhof zu bewirtschaften. Auch Karajans legendärer Produzent Walter Legge wußte die Kunst Panerais zu schätzen. Die beiden holten den Sänger gern ins Plattenstudio: Sein farblich (dem Edel-Timbre zum Trotz) auch zu sinistren Tönen fähiger Graf Luna - wieder neben der Callas und (dem hier nicht gerade ideal besetzten) di Stefano, gehört zu den bedeutendsten Inkarnationen dieser Partie auf Tonträgern, ebenso der eloquente und höhensichere Sharpless an der Seite Carlo Bergonzis in der von John Barbirolli dirigierten Butterfly.

Wie im Brennspiegel läßt sich Panerais Kunst in einem Livemitschnitt von Mozarts Così fan tutte (1956) unter dem früh verunglückten Guido Cantelli aus Mailand studieren: prägnanteste Artikulation im mühelosen Wechsel mit geschmeidigem, hie und da durch subtiles Vibrato angereichertes Cantabile. Nicht immer ganz mühelos in der Phrasierung, aber stets präsent in der inhaltlichen Gestaltung gehörten Panerais Rollenportraits bis zuletzt zu den lebendigsten Bühnenfiguren, die sich denken lassen.

Die »altersweise« Nutzanwendung dieser Tugenden erlebte man im selben Werk, als Panerai unter Karl Böhm in den Siebzigerjahren in Salzburg ins Kostüm des Don Alfonso gewechselt hatte. Wenig später holte ihn Karajan noch einmal als Mister Ford ins Festspielhaus: Panerais vokal und charakterlich vielschichtige Interpretation dieser Shakespeare-Gestalt hatte schon neben Tito Gobbi im Festspielsommer 1957 bestehen können, und bestand nun an der Seite des ebenso unverwüstlichen Giuseppe Taddei.

Im ersten Salzburger Falstaff-Jahr erschien Panerais wichtigste Arien-Platte, begleitet vom Philharmonia Orchestra unter Alceo Galliera, ein Nebenprodukt der Londoner Falstaff-Aufnahmen. Hier demonstriert der Sänger alle seine Stärken vom Bajazzo-Prolog bis zur Auftrittsarie des Figaro aus Rossinis Barbier - die Verve, die Sicherheit in der Höhe, die koloristische Differenzierungskunst überwiegen leicht das unleugbare Defizit an Beweglichkeit und Geschmeidigkeit; spätere Bariton-Generationen haben mit viel weniger Können und weitaus weniger prächtigem Material große Karrieren gemacht . . .



↑DA CAPO