Lauritz Melchior
1890 - 1973
Der Heldentenor des XX. Jahrhunderts, 25 Jahre dominierend an der »Met«
Ein Vierteljahrhundert war der hünenhafte dänische Tenor an der New Yorker Metropolitan Opera unter Vertrag. Eine ganze Generation amerikanischer Opernfreunde kannte gar keinen anderen Interpreten der großen Heldenpartien Richard Wagners. Von 515 Aufführungen seines Repertoires, die in New York in jenen 25 Spielzeiten von 1926 bis 1950 auf dem Programm standen, hat er 512 Mal die Tenor-Partie gesungen - allein 48 Mal gab er den Tristan an der Seite von Kirsten Flagstads Isolde!
Melchiors Stimme schien unverwüstlich. Doch verfügte der Künstler auch über eine bemerkenswerte Gesangstechnik. Sein Tenor schaffte es mühelos über die tosendsten Orchesterwogen hinweg machtvoll ins Auditorium zu dringen; doch er war auch dazu imstande, feine Phrasierungs-Nuancen zu gestalten, ja sogar Ziernoten leichtflüßig in die melodische Linie einzubinden. Damit war er als tenorales »Gesamtkunstwerk« unschlagbar.
Wer Melchiors »Schmelz- und Schmiedelieder« im Finale des ersten Aufzugs des Siegfried hört,
Metropolitan Opera, Artur Bodanzky
kann kaum glauben, daß diesem Künstler auch eine - bei fabelhafter Deklamation - behutsam phrasierte Wiedergabe von Siegmund Winterstürmen aus der »Walküre« gelang.
Wiener Philharmoniker, Bruno Walter
Mit 23 hatte der Sänger als Silvio in Leoncavallos Bajazzo an der königlich dänischen Oper in Kopenhagen debütiert - also in einer Bariton-Partie. Eine perfekt sitzende Tiefe war bis zuletzt auch die Grundlage seiner nach oben hin mühelos sich entfaltenden Stimme.
Der 8. Oktober 1918 ging dann in die Annalen der Gesangskunst ein, denn Lauritz Melchior, der Tenor, war geboren. Wiederum in Kopenhagen sang er den Tannhäuser. Von da an verlief seine Karriere rasch und stetig. Die kritische Cosima Wagner engagiert ihn 1924 als Siegmund und Parsifal für die Wiederaufnahme des Festspielbetriebs in Bayreuth, dem er dank seiner Freundschaft zu Siegfried Wagner bis zu dessen Tod (und noch eine Spielzeit darüber hinaus) treu blieb.
Doch nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland zog Melchior es vor, in den USA zu bleiben. Wir hielten die Fahne eines anderen Deutschland hoch, bemerkte er einmal angesichts der Qualität des »deutschen Ensembles« der Metropolitan Opera mit Flagstad, der jungen Astrid Varnay und ihm selbst, eines Deutschland, in dem keine Bücher verbrannt werden und Mendelssohn gespielt werden darf... Dieses Deutschland werde immer eines seiner Vaterländer bleiben, erklärte der Däne Melchior, der erst 1947 die US-Staatsbürgerschaft erlangte.
1950 zog sich Melchior von der Bühne zurück. Die vorletzte Vorstellung der Lohengrin-Serie an der Met wurde mitgeschnitten, sie läßt den Tenor bei völlig intakter Stimme hören.