Die letzte »Winterreise«
Christa Ludwigs Abschied vom Wiener Musikverein
21. April 1994
Christa Ludwig
begann ihren Wiener »Lieder-Abschied« im Musikverein mit Schuberts »Winterreise«: einzigartig.
Die Tatsache, daß sich da ein Star von seinem Publikum verabschiedet, spielte bei den Standing Ovations zuletzt mit, gewiß. Und doch galt der Dank wohl auch - jenseits des theatralischen Verabschiedungs-Effekts - einer phänomenalen interpretatorischen Leistung.
Die Ludwig und Charles Spencer versuchten nicht zu wiederholen, was vor ziemlich genau zwei Jahren am selben Ort schon wirklich unvergleichlich geworden war. Kein Déjà-vu-Effekt also, eine neue, umso ergreifendere Hör-Erfahrung.
Gibt es Schwärzeres als diese »Winterreise«?
Geballtere Negativität, hoffnungslosere Resignation?
Christa Ludwig wandelt als Deuterin dieses ehrlichsten, tiefsten »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, das in unserer Musikgeschichte zu finden ist, andere Pfade als von »Winterreisenden« gemeinhin gewählt werden. Nichts, oder fast nichts in ihrer Gestaltung verrät die »handelsüblichen« theatralischen Identifikationsmodelle, die bittere Verzweiflungsgeste, die tränendrüsendrückende Miene der Selbstzerfleischung.
Müllers Text suggeriert das alles vielleicht. Er läßt sich aber auch viel subtiler, viel hinter-, ja abgründiger als Protokoll eines Irrseins - oder zumindest: Wirrseins - im Gefolge äußerster seelischer Zerstörung deuten. Die Ludwig, von Spencer des öfteren mit entsprechend selbstvergessenen, verlöschenden Gesten begleitet, scheint in vielen Momenten jenes Bild des »Doppelgängers« zu beschwören, den Schubert in seinen letzten Heine-Liedern zeichnet: Sie steht scheinbar unberührt, jedenfalls illusionslos vor den Ruinen der eigenen Lebenssehnsucht, vor den Leiderfahrungen, »gefrorenen Tränen«, bar jeglicher Hoffnung.
Die Selbstentäußerung des »wie erstorbenen Herzens« geht bis zum blanken Zynismus, Apathie schlägt jäh um in blumige Phantasmagorie - so erhält die süßeste Phrase des »Frühlingstraums«, herrlich gesungen, den Charakter bittersten Schmerzes. Das sind die Welten nach dem »Ende aller Träume«, von dem Schubert singt.
Keine Frage nach stimmlichen Qualitäten, nach pianistschen Fertigkeiten - die Ludwig kann nach wie vor singen, Spencer ist ein grandios einfühlsamer Partner. Nur: Das ist nicht wichtig an einem solchen Abend, das stellt nur fest, wer sich zwingt, auch Äußerlichkeiten zu Protokoll zu nehmen.
Da sind zwei Künstler einen einsamen Weg gegangen in Regionen, in die nur ganz wenige ihr Publikum zu geleiten verstehen. »Die Winterreise« haben am Dienstag abend im Musikverein alle mitgemacht, jeder ganz auf sich selbst geworfen durch die große, zu Assoziationen, zur Reaktion zwingende Kunst zweier phänomenaler Interpreten.
Das war's.
Der »endgültige Abschied« steht noch bevor, gottlob. Also hat auch der Gedanke daran noch seine Zeit.
Die Tatsache, daß sich da ein Star von seinem Publikum verabschiedet, spielte bei den Standing Ovations zuletzt mit, gewiß. Und doch galt der Dank wohl auch - jenseits des theatralischen Verabschiedungs-Effekts - einer phänomenalen interpretatorischen Leistung.
Die Ludwig und Charles Spencer versuchten nicht zu wiederholen, was vor ziemlich genau zwei Jahren am selben Ort schon wirklich unvergleichlich geworden war. Kein Déjà-vu-Effekt also, eine neue, umso ergreifendere Hör-Erfahrung.
Gibt es Schwärzeres als diese »Winterreise«?
Geballtere Negativität, hoffnungslosere Resignation?
Christa Ludwig wandelt als Deuterin dieses ehrlichsten, tiefsten »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, das in unserer Musikgeschichte zu finden ist, andere Pfade als von »Winterreisenden« gemeinhin gewählt werden. Nichts, oder fast nichts in ihrer Gestaltung verrät die »handelsüblichen« theatralischen Identifikationsmodelle, die bittere Verzweiflungsgeste, die tränendrüsendrückende Miene der Selbstzerfleischung.
Müllers Text suggeriert das alles vielleicht. Er läßt sich aber auch viel subtiler, viel hinter-, ja abgründiger als Protokoll eines Irrseins - oder zumindest: Wirrseins - im Gefolge äußerster seelischer Zerstörung deuten. Die Ludwig, von Spencer des öfteren mit entsprechend selbstvergessenen, verlöschenden Gesten begleitet, scheint in vielen Momenten jenes Bild des »Doppelgängers« zu beschwören, den Schubert in seinen letzten Heine-Liedern zeichnet: Sie steht scheinbar unberührt, jedenfalls illusionslos vor den Ruinen der eigenen Lebenssehnsucht, vor den Leiderfahrungen, »gefrorenen Tränen«, bar jeglicher Hoffnung.
Die Selbstentäußerung des »wie erstorbenen Herzens« geht bis zum blanken Zynismus, Apathie schlägt jäh um in blumige Phantasmagorie - so erhält die süßeste Phrase des »Frühlingstraums«, herrlich gesungen, den Charakter bittersten Schmerzes. Das sind die Welten nach dem »Ende aller Träume«, von dem Schubert singt.
Keine Frage nach stimmlichen Qualitäten, nach pianistschen Fertigkeiten - die Ludwig kann nach wie vor singen, Spencer ist ein grandios einfühlsamer Partner. Nur: Das ist nicht wichtig an einem solchen Abend, das stellt nur fest, wer sich zwingt, auch Äußerlichkeiten zu Protokoll zu nehmen.
Da sind zwei Künstler einen einsamen Weg gegangen in Regionen, in die nur ganz wenige ihr Publikum zu geleiten verstehen. »Die Winterreise« haben am Dienstag abend im Musikverein alle mitgemacht, jeder ganz auf sich selbst geworfen durch die große, zu Assoziationen, zur Reaktion zwingende Kunst zweier phänomenaler Interpreten.
Das war's.
Der »endgültige Abschied« steht noch bevor, gottlob. Also hat auch der Gedanke daran noch seine Zeit.