Max Lichtegg

1910 - 1992

Sein Auftreten muß von hinreißendem Charme gewesen sein. Jedenfalls lag ihm sein Publikum zu Füßen, nicht zuletzt, weil er einer der wenigen Tenöre war, die sich auf der Operetten-Bühne ungezwungen und natürlich bewegen konnten. Das wurde Max Lichtegg zum künstlerischen Verhängnis! Seine Stimme, immer ein wenig melancholisch verhangen timbriert, war kultiviert geführt und beweglich, dabei kraftvoll genug, die Anforderungen von heiklen Balanceakten wie Don Ottavios Il mio tesoro in Mozarts Don Giovanni mit langem Atem, allen geforderten Koloraturen, aber auch der nötigen heldischen Attacke sauber zu bewältigen. Er sang den Siegmund in Wagners Walküre, den Lohengrin aber auch Schubert-Lieder - jeweils aus dem Wort und seiner klaren Artikulation geboren. Und doch wollte man ihn vor allem immer wieder als Vogelhändler oder Zarewitsch erleben.

Das Talent aus Galizien

Als Munio Lichtmann in den letzten Jahren der Donaumonarchie im galizischen (heute ukrainischen) Butschasch geboren, einer vom jüdischen Leben dominierten Stadt, von wo aus er als früh verwaister Bub zu seinem Onkel nach Wien kam. Sein Knabensopran machte bei Auftritten in der Synagoge Furore. Man legte dem jungen Mann nahe, nicht nur, wie geplant, Geschichte zu studieren, sondern auch die Stimme ausbilden zu lassen.

Das Vokalstudium beendete Lichtegg in Bern, wo er 1936 sein Debüt feierte. Als Gast sang er später an etlichen bedeutenden Häusern von der Wiener Staatsoper bis zum Opernhaus von San Francisco. Doch blieb die Schweiz seine Heimat.

Heimat Zürich

Am Stadttheater Zürich blieb er bis zur Feier seines 50-jährigen Bühnenjubiläums, 1987, im Ensemble. Neben den Parade-Tenorrollen in Oper und Operette war er auch in Ur- und Erstaufführungen von Werken Hindemiths und Strawinskys zu hören. Nach der Erstaufführung der deutschsprachigen Version von The Rake's Progress in Zürich ließ es sich der Komponist nicht nehmen, dem Interpreten seines Tom zu gratulieren.

Wortdeutliche Gestaltungskunst

Was Lichtegg als Vokalgestalter konnte, läßt sich vielleicht am raschesten ermessen, wenn man seine → Erzählung des Fürsten Schujskij im zweiten Akt von Mussorgskys Boris Godunow hört, mit deren beißend realistischen Schilderungen er den Zaren (Nicola Rossi-Lemeni) regelrecht in den Wahnsinn treibt: Die Stimme ist auch in der hohen Mittellage offen und frei, um alle sprachlichen Akzente punktgenau zu setzen.

Einige Lied-Aufnahmen Lichteggs gehören zu den bemerkenswerten Momenten der Aufnahmegeschichte: Niemand Geringerer als Georg Solti hat den Tenor in den späten vierzigerjahren bei Aufnahmen von Nummern aus dem Schwanengesang begleitet (Decca) - womit in Wahrheit die Schallplattenkarriere des später im Studio so vielbeschäftigten Dirigenten begann!
 
Der Schubert-Zyklus mit dem Sohn des Tenors, Theodor Lichtmann am Klavier (und einige Aufnahmen von Liedern Schumanns und Beethovens mit Hans Willi Haeusslein) sind in Lichteggs intensiver, ganz sprachbetonter Darstellung denkwürdige interpretatorische Leistungen (London/Decca); derzeit jedoch nur in Fragmenten → bei diversen Streamingdiensten und auf Youtube greifbar. Lichteggs Lied-Gestaltungskunst ließ auch bei nachlassender Qualität des Timbres und stärkerem Vibrato in späten Jahren nie die Qualitäten des raffinierten Geschichtenerzählers vermissen: Wie viele Interpreten vermitteln die Botschaft von Mahlers fahrendem Gesellen schon so unmittelbar, so direkt, so intim?

DA CAPO