Elisabeth Gruemmer
Sie besaß eine der schönsten Stimmen des XX. Jahrhunderts, weich und warm tönend, dabei strahlend und klar bis in höchste Höhen - ein Sopran dieses Formats war zu allen Zeiten rar. Elisabeth Grümmer sang ihre Partien - den Octavian im Rosenkavalier, die Elsa im Lohengrin, Mozarts Gräfin, Fiordiligi, Pamina und Donna Anna mit seelenvoller Hingabe und führte als Eva das Meistersinger-Quintett so innig an wie kaum eine Zweite.Grümmer stammte aus dem Elsaß und wuchs in Meiningen auf, wo sie Theaterluft schnupperte und gefangen war: Schon als Minderjährige durfte sie mit Erlaubnis ihres Vaters als Schauspielerin agieren. Die Entdeckung ihrer Stimme darf man niemand Geringeren als Herbert von Karajan zuschreiben, der als Generalmusikdirektor in Aachen einen zweiten Kapellmeister engagiert hatte: Er hieß Grümmer und Elisabeth hatte sich in den Klang seiner Geige und die Musik verliebt. Eines Abends sang sie zum Vergnügen der Gäste nach einem Diner - und Karajan engagierte sie vom Fleck weg als Blumenmädchen für eine Parsifal-Aufführung. Das war der Startschuß zu einer glänzenden Karriere: Für Karajan sang Grümmer in der Folge Operetten- und Opernpartien von der Gräfin im Wildschütz (Lortzing) bis zur Alice Ford in Verdis Falstaff.
Gern erzählt hat Grümmer die Anekdote, derzufolge Karajan sie vor allem wegen ihrer schönen Beine als Octavian besetzt hätte - er sollte ihre Glanzpartie werden, bis sie zur Marschallin wechselte, die ebenso legendär wurde, aber nicht auf Schallplatten festgehalten wurde, weil Karajan die Rosenkavalier-Aufnahme dann mit Elisabeth Schwarzkopf machte - oft wurde kritisiert, das sei vor allem deshalb geschehen, weil die Schwarzkopf die Ehefrau des EMI-Produzenten Walter Legge gewesen sei. Das ist gewiß nur die halbe Wahrheit. Die beiden Sängerinnen kamen gut miteinander aus. In Karajans vielgerühmten Aufnahme von Humperdincks Hänsel und Gretel singen sie einträchtig neben- und miteinander.
Grümmer wußte stets, wo ihre Grenze waren. Die Fidelio-Leonore, die ihrem Interpretenherzen nahe gewesen wäre, hat sie stets abgelehnt. Außerdem hat sie nie zu oft im Jahr gesungen. Stets hielt sie Entspannungs-Phasen in ihrem Kalender frei. Deshalb verzichtete sie auch auf lukrative Engagements, die ihren internationalen Ruhm hätten steigern können. Die Grümmer blieb ein deutsches Phänomen, auch wenn sie an den bedeutenden Häusern von Paris, Mailand, London, New York und Buenos Aires gelegentlich gastierte - und stets umjubelt wurde. Das Stammhaus der überzeugten Vertreterin des Ensemble-Theaters blieb nach 1945 (im Krieg war ihr Mann bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen) die Deutsche Oper im Westen Berlins.
Aufnahmen
Die Liste an Studioaufnahmen Elisabeth Grümmers ist erstaunlich kurz. Doch findet sich kaum eine schwache Einspielung darunter. Neben Karajans viel gerühmter Hänsel und Gretel-Produktion grandios - weil ebenfalls rundum geglückt - die Wiedergabe von Webers Freischütz unter Joseph Keilberth.Einen Freischütz gibt es auch mit allem musiktheatralischem Atem einer Liveaufführung von den Salzburger Festspielen unter Furtwängler, der Grümmer auch als Donna Anna in seiner Salzburger Don Giovanni-Produktion besetzt hat - angesichts der Grümmer-Abstinenz der großen Schallplattenfirmen eine glückliche Fügung, daß es Livemitschnitt wie diesen gibt! Die Donna Anna war Grümmer auch in einer von Karl Böhm dirigierten Aufführung 1954 in London an der Seite von George London - eine besonders spannende, dramatische Wiedergabe des Werks.
Das Meistersinger-Evchen Elisabeth Grümmers ist in der Studioaufnahme aus Berlin unter Rudolf Kempe verewigt, aber auch in Bayreuther Livemitschnitten unter Hans Knappertsbusch, André Cluytens und Erich Leinsdorf.
Ein Klassiker in den Schallplattenregalen wurde Franz Konwitschnys Aufnahme des Tannhäuser mit Hans Hopf und Dietrich Fischer-Dieskau (EMI).
Unschätzbare Dokumente aus dem Archiv hat der Berliner Rundfunk freigegeben: Der junge Aribert Reimann begleitete Elisabeth Grümmer Mitte der Sechzigerjahre bei Lied-Aufnahmen, darunter ein inniger Zyklus Frauenliebe und Leben von Schumann, wunderbar wortdeutlich, dabei aber akkurat phrasiert, Raritäten von Othmar Schoeck und einige beseelt gesungene Hugo-Wolf-Piecen aus dem »Spanischen Liederbuch«. (Orfeo)
Von der Oratoriensängerin gibt es Aufnahmen von Bachs Johannes-Passion (unter Jochum und Karl Forster) und Brahms' Deutschem Requiem unter Klemperer.