Margarita Gritskova


Nr. 1 einer Serie
von Aufnahmen
russischer Lieder (Naxos)

Margarita Gritskova im Gespräch über ihre Arbeit mit Peter Eötvös, der nach der Premiere seiner „Tri Sestri“ an der Staatsoper für die Mezzosopranistin ein neues Stück komponierte.

Frühjahr 2020

Mit voller Energie hat man an der Staatsoper in den vergangenen Wochen an der Wiederaufnahme von Peter Eötvös' Tschechow-Oper „Die drei Schwestern“ gearbeitet, die nun auf Grund der Covid-Pandemie nicht stattfinden kann. Die Premiere der Inszenierung Yuval Sharons war ja eine kleine Sensation. Das Publikum jubelte, nachdem es während der „Sequenzen“, wie die Akte in diesem Werk heißen, den Atem angehalten hatte.

Der Erfolg bestätigte die These, dass es für ein bedeutendes Opernhaus weniger wichtig ist, viele Uraufführungen herauszubringen, als zeitgenössische Werke, die sich als besonders eindrucksvoll entpuppt haben, nachzuspielen.

Und das möglichst in mustergültigen Einstudierungen. Dafür war im Falle der in russischer Sprache gesungenen „Tri Sestri“ gesorgt. Wie schon anlässlich der Erstaufführung von Thomas Adès' Shakespeare-Oper „The Tempest“ leitete der Komponist persönlich Proben und Aufführungen.

Peter Eötvös wurde in dieser Zeit zum Liebling des Ensembles, wie umgekehrt er die Qualitäten der Wiener Musiker und Sänger schätzen lernte. Weil ihm im Staatsopern-Ensemble drei Damen zur Verfügung standen, die des Russischen mächtig sind und als Darstellerinnen perfekt zu ihren Rollen passten, schrieb er die Partien der drei Schwestern für die Wiener Premiere um.

Ursprünglich verkörperten drei Countertenöre Irina, Mascha und Olga. Nun waren es drei bildhübsche Sängerinnen: Aida Garifullina, Margarita Gritskova und Ilseyar Khayrullova. Die Irina hätte diesmal Valentina Naforni?a gesungen.

 

Tschechow und die Neue Musik

Die Zuneigung zwischen Sängern und Komponist/Dirigent beruhte bei der Probenarbeit wieder absolut auf Gegenseitigkeit. Margarita Gritskova meint im Gespräch: „Zweifellos war die Arbeit an dieser Wiederaufnahme eine große Freude für mich, weil ich eine ganz besondere Beziehung zu dieser Produktion, zur Inszenierung und natürlich zum Komponisten gewonnen habe.“

Die St. Petersburgerin ist begeistert, wie gut Peter Eötvös den „echten Tschechow-Konflikt zwischen der Realität des Hier und Jetzt – mit dem man nicht glücklich ist – und dem, was man mit seiner ganzen Seele sich wünscht“ eingefangen habe.

In drei „Sequenzen“, jeweils aus der Sicht einer anderen der handelnden Figuren, werde ein und dieselbe Geschichte erzählt: „Das, woran man sehnsüchtig glaubt, dieser Traum von einer besseren Zukunft, entpuppt sich jedes Mal als Utopie“, sagt Gritskova, „aber genau darin besteht der besondere Reiz der Charaktere bei Tschechow: Trotz aller Unwegsamkeiten glauben sie an die Wendung zum Besseren – und jeder versucht, das Seinige dazu zu tun.“

Die Mezzosopranistin glaubt sogar aus Eötvös' Musik herausgehört zu haben, dass der Komponist seinen Figuren eine Chance auf Erfüllung zubilligt: „Wenn Andrei, der ältere Bruder verkündet, ihm sei die Gegenwart zuwider, aber die Zukunft würde die ,Befreiung von der Leere‘ bringen, dann singt er ein Motiv, das der russischen Nationalhymne ähnelt und lächelt . . .“

Peter Eötvös, angetan von der dreieinhalb Oktaven mühelos umgreifenden Stimme Gritskovas, fühlte sich inspiriert zu einer Vokalise, einem unbegleiteten Gesang nach Marina Zwetajewas Gedicht „Bitternis“, den er der Sängerin widmete.

Auf die außergewöhnlichen Qualitäten Gritskovas sind mittlerweile nicht nur Komponisten und internationale Opernhäuser aufmerksam geworden – jüngst debütierte sie in Paris als Rossinis „Italienerin in Algier“ –, sondern auch die CD-Produzenten.

 

Russische Liedkunst auf CD

Im Verein mit Maria Prinz produzierte sie für das Label Naxos Aufnahmen russischer Liedkunst. Erschienen ist bereits eine CD mit Werken von Rachmaninow, Tschaikowsky und Rimskij-Korsakow, demnächst kommt eine Aufnahme von Liedern Sergej Prokofieffs in den Handel, für den Herbst ist die Veröffentlichung einer Schostakowitsch-CD geplant, die bereits aufgenommen ist.

Vieles davon wird nicht nur für Musikfreunde in Westeuropa und den USA eine Entdeckung sein; nicht zuletzt Prokofieff erscheint als Melodiker in ganz neuem Licht.

Jetzt heißt es für Margarita Gritskova erst einmal Abschied nehmen von der Staatsoper, die für viele Jahre ihre Heimat war: „Ich bin Direktor Dominique Meyer dankbar dafür, dass er mir sein Vertrauen geschenkt hat und mir viele großartige Aufgaben anvertraut hat.“

Immerhin war Gritskova zuletzt die Carmen an der Seite von Piotr Beczala anlässlich von dessen Welt-Debüt als Don José, und sang im Vorjahr mit Juan Diego Flórez durchaus „auf Augenhöhe“, wie die Kritiker bestätigten, im „Barbier von Sevilla“.

„Leben werde ich aber weiterhin in Wien“, sagt die Künstlerin, und freut sich auf die große Abschiedsgala am Ende der Ära Meyer, die den jungen Ensemble-Mitgliedern gewidmet ist. Nach ihrem Debüt als Giovanna Seymour in Donizettis „Anna Bolena“ am Münchner Gärtnerplatztheater im Herbst singt sie dann ja doch wieder in Wien: im Rahmen von „Christmas in Vienna 2020“. Und auch Konzertauftritte, unter anderem unter Lorenzo Viottis Leitung, 2021, sind schon fixiert.

Aufnahmen

Neben Opern-Gesamtaufnahmen, die zum Teil live bei verschiedenen Festivals entstanden, nennt die Diskographie der Sängerin vor allem Lied-Einspielungen mit der Pianistin → Maria Prinz, die auch dank ihres Repertoirewerts oft exzellente Kritiken erhielten.


↑DA CAPO