Der Lieder-Papst

Dietrich Fischer-Dieskau

(1925 - 2012)

Bilder: Der ungemein elegante Graf Almaviva, der auch im Moment des Wutanfalls nicht die Contenance verlor und wirklich erst im Finale vor seiner Contessa in die Knie ging. Der König Lear, souverän-distanziert beim Verteilen seines Erbes, verstört-zerstört durch den Gewittersturm des Haide-Bildes wankend . . .
Als Wiener Musikfreund mußte man reisen, um solche Momente erleben zu dürfen. Denn Oper sang Dietrich Fischer-Dieskau in Wien nicht. München, Berlin waren seine Heimstätten. An der Bayerischen Staatsoper, wo er in seinen Paraderollen, etwa auch als Barak in der Frau ohne Schatten oder als Mandryka in Arabella, wirklich zu Hause war, wagte er sich sogar einmal an den Hans Sachs, eine Partie, von der man meinte, er würde sie lediglich ein Mal zu Aufnahmezwecken im Studio singen, um sie dann wieder kraftvolleren Bassisten-Kollegen zu überlassen.

Sie wäre dann immerhin nicht »ungesungen« geblieben, wie er das selbst in einem seiner vielen Bücher genannt hatte. »Ungesungen«, das hieß für ihn: von Dietrich Fischer-Dieskau nicht gedeutet. Wagners Sachs wollte doch auch auf der Bühne einmal erlebt sein. Es war gegen Ende der Siebzigerjahre, Wolfgang Sawallisch breitete dem Sänger damals einen Teppich, so behutsam, wie der Orchesterteppich in einem Wagner-Drama nur sein konnte.

Bis ins Kleinste ausgefeilt

Und man erlebte eine messerscharf kalkulierte, bis ins Kleinste ausgefeilte deklamatorische Meisterleistung, die tatsächlich manche Passage völlig neu erleben ließ. Freilich: Die Anforderungen Richard Wagners an seinen Meistersinger gingen so weit über das vokale Kraftpotenzial Fischer-Dieskaus hinaus wie der Wotan im Rheingold, den der Künstler für Herbert von Karajan auf Schallplatten, aber doch einmal auch im Rahmen der Osterfestspiele auf der Salzburger Festspielbühne zum Besten gab. Solche Auftritte waren Erkundungsreisen. Spurensuche jenseits der Grenze eines ohnehin riesigen Bezirks, innerhalb dessen dieser Künstler längst historische Wegmarken gesetzt hatte.

»Dem deutschen Liede«

Dietrich Fischer-Dieskaus Ruhm verbreitete sich Anfang der Fünfzigerjahre wie ein Lauffeuer in der Musikwelt: Da war einer, dessen Stimme von außerordentlicher Schönheit war, der diese Stimme aber auf ebenso außerordentliche Weise als Mittel zur Vereinigung von literarischem und Noten-Text zu nutzen verstand. Der Name Fischer-Dieskau stand bald für Lied-Interpretation schlechthin. Dem deutschen Liede stand auf einer Karikatur zu lesen, die den Sänger als sein eigenes Denkmal auf einem Marmorsockel zeigte.

Wilhelm Furtwängler dirigierte dem jungen Star zuliebe Anfang der Fünfzigerjahre einmal sogar Musik von Gustav Mahler, der er sich im Übrigen nicht verbunden fühlte. Es war eine Aufführung an der Schwelle zu einer unvergleichlichen Sängerkarriere.

Die machte sich von Beginn die Möglichkeiten der Aufbruchsjahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu Nutze. Das neue Medium der Langspielplatte wurde Fischer-Dieskaus ideales Werbemittel. Nur Herbert von Karajan hat auf vergleichbare Weise seinen Weg auch über »konservierte« Musik gemacht.

In Amerika, in Asien wußte man bald so gut wie in Europa, wer Dietrich Fischer-Dieskau war. Seine Live-Auftritte entsprachen dann freilich dem, was die Schallplatte versprach: Die Texte der Dichter und das, was die Komponisten daraus gemacht hatten, wurden da mit vorher nicht gekannter Akribie ausgelotet.

Die »Winterreise« im Dutzend

Der Ruhm des jungen Interpreten reichte bald weiter als bis in den Olymp hymnischer Kritiken. ALs lebendes Denkmal des Liedgesangs war er, dank seiner medialen Präsenz, geschmacksbildend für mehrere Generationen von Klassikfreunden. Wie Karajan hat auch Fischer-Dieskau seine Interpretationen stets aufs Neue verewigt. Von der Winterreise gibt es mehr als ein halbes Dutzend offizieller Aufnahmen - und unzählige illegale Live-Mitschnitte.

So viel Popularität fördert auch Neid und Missgunst. Aber nichts mehr von den Anfeindungen, die Fischer-Dieskau auch ertragen musste - nicht zuletzt hierzulande, wo man nachschaffende Künstler von intellektuellem Zuschnitt nicht unbedingt ästimiert.

Zeitgenössische Musik

Doch sogar unverbesserliche Klanghedonisten, denen der Intellektualismus dieses Mannes zu weit ging, zollten ihm Hochachtung wegen seines Engagements für die komponierenden Zeitgenossen. Nicht nur, dass Meister wie Igor Strawinsky für ihn neue Partituren schrieben. Fischer-Dieskau war auch Starthelfer und Mitstreiter der jüngeren Garde der sogenanten Neuen Musik.

So finden sich in der Sängerbiographie die Namen von Hans Werner Henze und Aribert Reimann, Gottfried von Einem oder Olivier Messiaen - die unterschiedlichsten Meister also, gleichviel, ob sie der Avantgarde oder der »Anti-Moderne« zuzurechen waren, solange ihre Musik nur unverwechslbaren Charakter hatte. Sie alle haben von Fischer-Dieskaus Engagement profitiert.

Und es bleiben nicht nur (Opern-)Bilder. Es bleiben akustische Augenblicke des Innehaltens, des Staunens: Wer mit offenem Mund lauschend erlebt hat, wie der Feuerreiter (zur Musik von Hugo Wolf) durchs Salzburger Festspielhaus ritt, der weiß, dass hier von einem einzigartigen Stimm-Magier die Rede ist. Wer's nicht erleben durfte, muß dem immensen Erbe an Tonaufnahmen vertrauen, einem der reichsten, das je ein Interpret hinterlassen hat.

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