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Franco Corelli

1921 - 2003

Er besaß eine der strahlendsten Stimmen des XX. Jahrhunderts und verfügte über die sichersten, effektvollsten Spitzentöne, die sich denken ließen - mußte aber sein ganzes Bühnenleben lang gegen extremes Lampenfieber ankämpfen. Intendanten wie der legendäre Direktor der New Yorker Metropolitan Opera, Rudolf Bing, konnten Legenden darüber erzählen, wie Corelli-Beruhigen zeitweilig zu ihrer Hauptbeschäftigung wurde.

Bing versuchte eines Tages, den Tenor, der abgesagt hatte, dazu zu bewegen des Abends doch aufzutreten, indem er im Verein mit seinem Vizedirektor vor Corellis Hotelsuite niederkniete - auf das Klingelzeichen öffnete eine verblüffte Dame in Lockenwicklern; die beiden Herren hatten sich in der Tür geirrt.

Wenn Corelli auftrat, war das Publikum in Ekstase. Kritische Melomanen bemängelten Manieren seiner Phrasierung und seiner künstlich zurückgenommenen Pianissimi; die Verehrer aber jubelten über explodierende hohe Bs, Hs und Cs.

Legendär sind vor allem die Reaktionen des italienischen Publikums,


Tosca (Parma, 1967)
das sich etwa im Zentrum des Mittelakts von Puccinis Tosca nach den Vittoria-Rufen Corellis nicht darum scherte, daß ihr Idol, aber auch Tosca und Baron Scarpia weiterzusingen hatten. Die Corelli-Gemeinde fieberte Momenten wie dem Finale des sechsten Bildes in Verdis Troubadour mit der berühmten Stretta entgegen.

Höhensichere Primadonnen wie Birgit Nilsson amüsierten sich über Corellis eitle Angewohnheit, gemeinsame Spitzentöne immer ein Atom länger auszuhalten als die Partnerin; eines Abends rächte sich die Diva, holte im Turandot-Duett vor dem hohen C tief Luft und zwang Corellis zum »aufgeben«, wie sie das nannte. Corelli war fuchsteufelswild, erklärte, den Dritten Akt nicht singen zu wollen, bis Rudolf Bing der rettende Einfall kam: Er raunte dem Tenor zu, er könne ja die Nilsson bei der Kußszene vor dem Finale einfach beißen. Diese Vorstellung befriedigte den Tenor so sehr, daß er die Vorstellung weitersang - allerdings ohne seine Turandot zu beißen...

Die gemeinsamen Aufführungen von Puccinis letzter Oper gehören auch im Kalender der Nilsson zu den Sternstunden. Ein Livemitschnitt unter Leopold Stokowski läßt alle Stärken Corellis und seiner Partnerin hören und vermittelt auch etwas von der Euphorie, die alle Melomanen bei solchen Gelegenheiten befiel. Gewiß kann die Aufnahme auch als Demonstrationsobjekt tenoraler Unsitten herhalten, die aber im Auditorium gewiß niemanden gestört haben.

Was der durchtrainierte Corelli zu leisten imstande war, läßt sich auch - wiederum an der Seite der Nilsson - in Zubin Mehtas Gesamtaufnahme von Verdis Aida hören. Längere Phrasen hat in der Auftrittsarie Celeste Aida gewiß kein Tenor je singen können.


Zu den legendären Aufnahmen Franco Corellis gehört auch der Livemitschnitt der Salzburger Festspiel-Premiere von Verdis Troubadour mit den Traum-Partnern Leontyne Price, Giulietta Simionato und Ettore Bastianini unter Herbert von Karajans Leitung.

Stilistische Bedenken, wie sie von Kritikern gern geäußert wurden, befallen einen Corelli-Freund vielleicht am ehesten bei seinen französischen Partien: Die viel gerühmte Aufnahme des Faust an der Seite von Joan Sutherland und Nicolai Ghiaurov wirkt, gemessen an den Leistungen manch edlen, des Französischen sprachlich und stilistisch mächtigen Tenor-Konkurrenten vielleicht doch zu wenig feinsinnig.

Hingegen galt sein Manrico (Troubadour) zumindest dem Publikum der Sechzigerjahre als Maß aller Tenor-Dinge. Vor der Salzburger Premiere galt dieser Partie bereits sein Met-Debüt - wie in Salzburg an der Seite der ebenfalls an diesem Abend debütierenden Leontyne Price. Das Haus verwandelte sich damals während der Vorstellung in einen veritablen Melodramen-Hexenkessel. Der bei Sony veröffentlichte Live-Mitschnitt dokumentiert nicht nur das Duell der Spitzentöne, sondern auch den tosenden Applaus der amerikanischen Opernenthusiasten.

Corelli zog sich - ein Tribut an seine zerrütteten Nerven - schon Mitte der Siebzigerjahre von der Bühne zurück und war nie wieder dazu zu bewegen, öffentlich zu singen. Seinr Stimme hatte er aus Begeisterung für den Gesang - schon der Großvater hatte seinen Beruf der Oper zuliebe an den Nagel gehängt! - seine vorgesehene Karriere als nautischer Ingenieur abgebrochen. Das Singen hat er, einigen Versuchen mit professionellen Lehrern zum Trotz, vorrangig autodidaktisch erlernt. Immerhin aber suchte er verehrte Tenorstars wie Beniamino Gigli und - vor allem - Giacomo Lauri-Volpi auf, um sich zu vervollkommnen. Das genügte für eine kometenhafte Laufbahn. Von seinen zahlreichen Schallplatten-Aufnahmen fanden jene von Giordanos André Chénier sogar vor den Ohren der penibelsten Corelli-Kritiker Gnade: Die Intensität seines Improvviso hat kein Interpret seither erreicht. Der Mitschnitt der Wiener Staatsopern-Premiere unter Lovro von Matacic mit Renata Tebaldi und Ettore Bastianini erschien auf Orfeo.



DA CAPO