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Anita CERQUETTI

1931- 2014

In der Nähe von Ancona geboren, in Florenz aufgewachsen, in Perugia ausgebildet, feierte Anita Cerquetti als 18-Jährige ihr Konzertdebüt und stand am Alter von zwanzig Jahren als Aida in Spoleto erstmals auf der Bühne.

Die Sängerin selbst erinnerte sich, daß ihre Stimme sozusagen »natürlich platziert« gewesen sei. In der Ausbildung sei es nur noch um den letzten Schliff und um die Atemkontrolle gegangen. Die hatte sie bereits erreicht, als sie alle Aufmerksamkeit der italienischen Melomanen mit ihrem fulimanten Debüt als Abigail in Verdis Nabucco 1955 in Florenz auf sich zog. Bereits in der folgenden Saison gastierte sie erstmals auch in den USA, sang die Amelia in Verdis Maskenball in Chicago und die Helena in Glucs Paride ed Elena in New York - allerdings nicht in der Metropolitan Opera, wo Rudolf Bing Cerquetti als Tosca und Santuzza engagieren wollte, zwei Partien, sie sie nicht singen wollte. Ihre Grenzen kannte sie genau.

Vor der allseits gefürchteten Abigail, von der es heißt, Verdis Frau Giuseppina Strepponi hätte sich mit dieser Rolle die Stimme ruiniet, hatte Cerquetti hingegen nicht die geringste Angs: In dieser Partie feierte sie ihr Debüt an der Mailänder Scala 1958 - mitten in der »Regentschaft« der Maria Callas. Cerquetti genoß jedoch zu diesem Zeitpunkt in ihrere Heimat bereits sagenhaften Ruhm. Das erleichterte es ihr, im selben Jahr in Rom triumphal als Bellinis Norma für die Callas einzuspringen, nachdem die Diva die Premiere wegen Unpäßlichkeit abgebrochen und damit für einen europaweit kommentierten Skandal gesorgt hatte.

Doch riß trotz allen Erfolgen eine Herzoperation Anita Cerquetti schon zwei Jahre später aus ihrer Karriere. Die Sängerin mußte die Opernbühne verlassen und lebte in Rom als gesuchte Gesangspädagogin.

Das jähe Ende der Karriere ließ schnell vergessen, welch enorme Wirkung die Auftritte Anita Cerquettis auf das Publikum hatten. Tenor-Kollege Mirto Picchi erinnerte sich an eine gemeinsame Aufführung und die Stimme der Kollegin:

Ihr Sopran war strahlend hell, doch samtig und sie provozierte hysterische Reaktionen. Nach der Premiere war der Bühneneingang umlagert, die Polizei mußte einschreiten. Man hatte zu Recht den Eindruck, sie besaß den letzten echten dramatischen Sopran, unvergeßlich für alle, die sie gehört haben.

Aufnahmen

Die kürze der Karriere ist wohl auch dafür verantwortlich, daß das von den Zeitgenossen bejubelte Phänomen nicht ausreichend dokumentiert ist. Die spärlichen Studio-Aufnahmen lassen kaum ahnen lassen, wie es gewesen sein mußte, wenn Cerquetti live wirklich zur vollen Form auflaufen konnte. Immerhin darf man die Pace-Arie der Leonora aus Verdis Macht des Schicksals als einen der großen Momente der Aufnahmegeschichte bezeichnen: erfülltes Singen, makellose Phrasierungskunst und mühelos ins höchste Register gewölbte Bögen - wie sie auch in der italienischen Rundfunkproduktion von Webers Oberon in einer der besten Interpretationen der gefürchteten, zehnminütigen Ozean-Arie der Rezia hörbar werden; ein souverän eingebundenes hohes C inklusive.

Apropos Souveränität: Was die überlieferten Tondokumente betrifft, dürfte - wiederum abgesehen von der Callas - kaum eine Sopranistin die Elena in Verdis Sizilianischer Vesper so stilsicher und virtuos gesungen haben wie die Cerquetti: in den ausdrucksstark-dramatischen Partien des Werks fraglos, aber auch im gefürchteten »Bolero« (Mecé, dilette), wo sie die Klippen der finalen Koloratursequenzen, die den gesamten Stimmumfang beanspruchen und an denen berühmteste Sopranistinnen gescheitert sind, geradezu graziös umsegelt.

↑DA CAPO

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