Enrico Caruso
Das XX. Jahrhundert hat zwei Sänger-Legenden hervorgebracht, die alle anderen überstrahlten. Die andere war Maria Callas.
Wir werden ihn nicht wieder hören ... Sie sind uns für immer verloren, diese einzige Tenorstimme, diese einzige Gesangsorganisation, diese einzige Spielbegabung. Ein ähnlicher Verein singulärer Veranlagungen mag der Natur alle hundert Jahre einmal gelingen. Caruso ist tot; der Rest ist - Grammophon.
Julius Korngold, 3. August 1921
Julius Korngold, 3. August 1921
Der Nachsatz in Julius Korngolds Nachruf auf Enrico Caruso bringt es auf den Punkt: Das Grammophon bewahrt uns Beweise für das, was die Zeitgenossen als einzigartig schätzten, eine Gesangskunst, die ihresgleichen nicht hatte. Etliche Kollegen Carusos haben in den Anfangsjahren der Tonaufnahme Arien und Lieder in den Trichter gesungen. Manch aufschlußreiches stilistisches Detail läßt sich da studieren. Aber nur Caruso sang mit einer Geschmeidigkeit, Phrasierungskunst und Tonschönheit, die bis heute in Bann schlägt. Die Kunst des Belcanto zelebriert er noch in den ausdrucksvollsten Momenten des Verismo - statt auf die Stimme zu drücken, baut er den einen oder anderen Schluchzer ein; das wollten ihm spätere Generationen nicht verzeihen. Die Kunst, auch höchstes Espressivo mit den Mitteln vollendet modellierten Gesangs zu erreichen, konnte ihm hingegen niemand absprechen. Legendär sind Momenten, in denen der Impetus seines Singens sogar Kollegen auf der Bühne so hinriß, daß sie aufs Weitersingen vergaßen . . .
>Aufnahmen
Der »singende Schauspieler«
Daß Enrico Caruso ein »moderner« Sänger, das heißt: ein Singschauspieler war, der nicht einfach an der Rampe schöne Töne ablieferte, bescheinigt ihm ebenfalls Julius Korngold in seinem Nekrolog in der Neuen Freien Presse. Er beschreibt anschaulich den ersten Wiener Auftritt des Tenors als Herzog von Mantua in Verdis Rigoletto und seine Gestaltung des La donna e mobile:Erst in dieser leichtfertigen Kanzone, die zum Gassenhauer geworden ist, der darauf wartet, von großen Sängern emporgehoben zu werden, zündete Caruso. Diese Handvoll Töne wuchs ihm zu einem faszinierenden Meisterstück von Leichtigkeit, Eleganz und Bravour. ... Dabei trat der Darsteller dem Sänger zur Seite. Er vergnügte sich an Kartenlegen, während er das trügerische Frauenherz besang, warf, den Trug der Karten wie den Trug der Liebe gleicher Weise mißachtend, mit dem langen letzten Tone das Spiel in die Luft. Eine Nuance, die keine schlechte Karte ist, wenn eine berückende Tenorstimme, eine fabelhafte Technik mithelfen, ein schauspielerischer Einfall, der, wie sich zeigen sollte, kein vereinzelter dieses inspirierten singenden Schauspielers war.
Der exzellente Zeichner hat sich selbst portraitiert.
Anekdotisches
Selbst die kritischsten Geister schlug Carusos Gesang in seinen Bann. Das Berliner Debüt des Tenors fiel in die Amtszeit von Generalmusikdirektor Richard Strauss, der seinem Kapellmeisterkollegen, der die abendliche Aida zu dirigieren hatte und ziemlich aufgeregt war, entgegenhielt: »Ah, gehn'S', für so an Tenor . . .« - In der Pause kam der bekehrte Strauss ins Dirigentenzimmer und meinte atemlos bewundernd: »Er singt die Psyche der Melodie«Skeptisch war zu Anfang nicht nur Richard Strauss. Auch Gustav Mahler, damals Hofoperndirektor in Wien, holte Caruso, der bekannt für seine astronomisch hohen Gagen war, zunächst nur zu einer Aufführung für den Pensionsfonds des Hauses - solche Auftritte waren kostenlos zu absolvieren. Über den Erfolg berichtete → weiter oben bereits Julius Korngold.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges weigerte sich Caruso im deutschen Sprachraum zu gastieren. Selbst der deutsche Kaiser Wilhelm II. war darüber konsterniert, aber der Tenor blieb felsenfest:
Sie müssen wissen, daß ich mich grundsätzlich außerhalb jeglicher politischen Kundgebung halte, denn ich bin überzeugt, ein Künstler, der in allen Ländern gewirkt hat, muß ein derartiges Benehmen zur Schau tragen, um die Unantastbarkeit seiner Persönlichkeit und außerdem seine Gefühle gegenüber seinem Vaterland zu wahren.
Gefühle anderer Art hatten zuvor Carusos Privatleben geprägt: Seiner Beziehung zur - künstlerisch keineswegs ebenbürtigen - Sängerkollegin Ada Giachetti entsprossen vier Kinder; und eine zermürbende, von Giachetti auch publizistisch ausgewertete Schlammschlacht, nachdem sie ein Verhältnis mit ihrem Chauffeur eingegangen war. Caruso bat die Direktion der Metropolitan Opera, ein Werk wie das Eifersuchtsdrama Der Bajazzo vom Spielplan zu nehmen, weil er die Partie nicht singen wollte. Außerdem strengte er eine Klage gegen Giachetti wegen Verleumdung an.
Später trat eine Verkäuferin, ein Fräulein Gianelli, in Carusos Leben, die mit ihrem Vater im SChlepptau den Sänger eine Zeitlang auf seinen Gastspielreisen begleitete. In Berlin wurde offiziell Verlobung gefeiert, doch von seiner nächsten Reise schickte Caruso eine Depesche und löste die Verlobung wieder auf. Gianelli klagte und wurde mit einer Zahlung von 10.000 Lire abgefunden.
In späten Jahren sang er laut Auskunft seines Impresarios stets unter dem Einfluß von schweren Beruhigungsmitteln. 1914 schrieb Caruso an einen Vertrauten:
Meine Kopf. und Gehirnschmerzen sind ein Leiden geworden,d as jedem Witterungswechsel unterworfen ist. Bei Regen und Temperatursturz beomme ich diesen schweren Druck im Gehrin und diese Schmerzen, die mich furchtbar quälen. Ich kann sie nur it deutschem Aspririn behandeln.