Foto Staatsoper/Pöhn

1921- 2018

Fast ein halbes Jahrhundert war Inge Borkh nicht mehr auf der Opernbühne gestanden, als sie im August 2018 im Alter von 97 Jahren starb. Mehr als eine Generation von Musikfreunden konnte schon damals nur auf Tonaufnahmen zurückgreifen, um halbwegs ermessen zu können, worauf der Weltruhm dieser Künstlerin basierte.

Borkh war offenkundig ein Phänomen, das sich mit musikalischen Vokabeln nicht annähernd umschreiben läßt. Sie muß auf der Bühne von umwerfender darstellerischer Überzeugungskraft gewesen sein.

Anders ist kaum zu erklären, daß nach ihrem Debüt als Salome an der New Yorker Metropolitan Opera der Eiserne Vorhang wieder hochgezogen werden mußte. Das Publikum jubelte lang weiter. Eine Bühnenfigur von außerordentlichem Rang also, eine, die durch schiere Präsenz auf der Szene die dramatische Schubkraft dessen, was sie mit ihrer Stimme vermittelte, noch zu potenzieren verstand.

Wer nachhört, was sich von Inge Borkh an Tonaufnahmen erhalten hat, kann schon ermessen, was eine Liveaufführung mit dieser Sängerin bedeutet haben mußte. Da war die Leuchtkraft, die dem an sich fraulich-dunklen, satt timbrierten Sopran Glanz und Strahlkraft bis in höchste Höhen sicherte.


A. Schönberg: »Gurrelieder«
Bayer. Rundfunk - Rafael Kubelik (DG)

Vor allem aber: Ihr Singen war, das läßt sich selbst aus der Distanz beurteilen, aus szenischer Aktion, inhaltlicher Notwendigkeit geboren. Elektra Fritz ReinerDie Monologe der Färbersfrau in der „Frau ohne Schatten“, jene der Elektra, um noch zwei weitere Strauß-Partien aus Borkhs reichem Repertoire zu zitieren, lassen die „Inszenierung“ – die „natürliche“, jenseits der heutigen Perversion dieses Begriffs quasi akustisch – mitvollziehen und sind trotz aller immer wieder hörbaren kleinen Blessuren, die dem überbordenden Ausdruck geschuldet sein mögen, immer den Gesetzen unforcierten, aus der Phrase geborenen Gesangs verpflichtet: Am Ende steht doch die edelmetallische Leuchtkraft des Soprans, nicht eine theatralische Expressivität um jeden Preis.

Was die Bühne von einer Menschendarstellerin fordert, war der als Ingeborg Simon geborenen Mannheimerin während ihrer Studien am Wiener Reinhardt-Seminar aufgegangen. Als Schauspielerin hatte sie in Linz begonnen, ehe sie als Tochter eines jüdischen Diplomaten in die Schweiz flüchten mußte. In Luzern stand sie erstmals als Sängerin auf der Bühne, in der Folge war sie fürs dramatische Repertoire erste Wahl in allen bedeutenden Häusern. Als sie Anfang der Siebzigerjahre ihre Kräfte langsam schwinden fühlte, sagte sie dem Operngesang sogleich Adieu.

Nicht aber dem Theater. In Hamburg gab es ein Comeback der Schauspielerin an der Seite Boy Goberts. Gesungene MemoirenAuch Kabarett war der Borkh nicht fremd. Folgerichtig sang sie ihre Memoiren, ein einzigartiges Dokument einer kühl analysierenden Zeitgenossin, die doch längst ihre eigene Legende war.

↑DA CAPO