Kurt Boehme

1908 -

Mehr als 500 Mal hat Kurt Boehme den Ochs auf Lerchenau in Richard Strauss' Rosenkavalier gesungen. Die Aufnahme unter Karl Böhms Leitung hält seine minutiöse Rollengestaltung für die Nachwelt fest. Ein Baß von solcher stimmlicher Raffinesse, der über die subtilsten Ausdrucksnuancen gebot, war rar - und wie geschaffen für die vielfach differenzierten Interpretations-Angaben, mit den Strauss seine Partitur gespickt hat. Nie war Boehme auf der Bühne ein polternder, ein »typischer« Baß. Bei Mozart, Weber, Wagner schuf er fein schattierte Charakterportraits. Neben dem Ochs, der tatsächlich seine Leib- und Magenpaertie war, beherrschte er noch 110 anderen Gesangspartien, darunter zahllose kleinere, deren Rangfolge vom Lord bis zum Kammerdiener, vom Priester bis zum Teufel reichte.

Kurt Böhme stammte aus Dresden, seine Eltern aus dem Erzgebirge, dem Höhenzug an der deutsch-böhmischen Grenze. Sie produzierten Speiseöl, doch der Sproß ließ bald seine musische Begabung erkennen, spielte Geige und Klavier, Trompete und Horn. Im Kirchenchor sang er Alt. Und mit 15 gründete er ein Jazz-Trio und spielte allabendlich im Café zum Tanz auf. Eines der Trio-Mitglieder machte dann einschlägige Karriere: Peter Kreuder.

Aber Böhmes stimmliches Potential - bis zum 21. Lebensjahr fertig ausgebildet - war stärker. So wurde aus dem vielseitigen Instrumentalisten bals ein Ensemblemitglied: Bautzen in Sachsen war die ersten Station der damals üblichen, produktiven Tour des jugen Sängers durch die Provinz. Man war ihn, wie üblich, ins sprichwörtliche »Kalte Wasser«. Böhme sang den Falstaff in den Lustigen Weibern, den Landgraf im Tannhäuser, den Ramphis in Aida, den Van Bett in Zar und Zimmermann. Er beherrschte also rasch die wichtigsten Partien seines Fachs - und hie und da sang er sogar auch einmal zwei von ihnen, wenn Not am Mann war: Kurioserweise sogar einmal den »bösen« Kaspar und den »heiligen«Eremiten in Webers Freischütz - Zeit zum Wechselnd des Kostüms: etwa 50 Sekunden hinter der Kulisse!

Diese Zeit gedrängter Praxis-Erfahrungen dauerte nicht viel länger als sechs Monate. Danach war längst der große Fritz Busch auf die Stimme aufmerksam geworden und holt Böhme nach Dresden. In Buschs legendären Ensemble der Semperoper wurde Böhme zu einem der bedeutendsten Mitglieder. Und er sang dort nicht nur die klassischen Baß-Partien, sondern auch vergleichsweise neue Werke von Busoni, Hindemith oder Othmar Schoeck.

Fast zwei Jahrzehnten war Kurt Böhme Dresdner Ensemble-Mitglied. Unter Busch und dessen Nachfolger Böhm entwickelte er Stimme und Interpretationskunst. Unter den Augen und Ohren von Richard Strauss war er Uraufführungs-Interpret in Arabella (Graf Waldner unter Clemens Krauss nach dem erzwungenen Abgang von Busch, 1933) und Die schweigsame Frau (die zentrale Partie des Sir Morosus unter Karl Böhm, 1935).

Nach dem Krieg - ab 1949 - wurde die Bayerische Staatsoper Böhmes Heimat. Dort war er anläßlich seines ersten Gastpspiels, 1937 als Kaspar von - wie ein Rezensent schrieb »teuflischer Überzeugungskraft« - gern gesehen und als Ensemblemitglied dann unverzichtbar. Obwohl mit Paul Bender, Ludwig Weber, Georg Hann, Max Pröbstl und Gottlob Frick gerade in München eine imponierende Reihe bedeutenden Bässe zur Verfügung stand.

Schon während des Zweiten Weltkriegs hatte Böhme auch immer wieder in Wien gesungen. Nach 1945 riefen ihn Covent Garden nach London, das Teatro Colon nach Buenos Aires und die Metropolitan Opera nach New York, um nur die wichtigsten zu nennen. Böhme hat im Rahmen dieser Gastspiele nie nur bestimmte Partien gesungen, sondern sich als Alleskönner in seiner Stimmlage bewiesen. Von Wagner Daland und Gurnemanz (seine Lieblingspartie!) bis zu Mozarts Osmin und Sarastro, bis zum Kecal (»Verkaufte Braut«), Doktor Bartolo (»Barbier von Sevilla« oder dem Theaterdirektor La Roche in Strazss' »Capriccio«. Immer wieder aber den Ochs auf Lerchenau, mit dem man ihn letztlich doch identifizierte. 1936 hatte er diese Partie erstmals in Dresden verkörpert. Danach absolvierte er bis zu seinem Abgang von der Bühne 572 Aufführungen des Rosenkavalier in mehr als 30 unterschiedlichen Produktionen in aller Welt. Wobei sich kaum ein Regisseur darüber traute, dem Interpreten ins Handwerk zu pfuschen. Der enorme Stimmumfang, den Richard Strauss von seinem Interpreten fordert und über den er mit Leichtigkeit gebieten muß, bedeutete für diesen Sänger kein Problem: Das tiefe C beherrschte Böhme so mühelos wie das gefüchtete hohe F, das im ersten Akt zur den Worten Muß halt ein Heu in der Nähe dabei sein im Pianissimo zu singen ist.

Wo immer Böhme den Ochs sang, vermeinte man einen waschechten Wiener singen zu hören. Daß er aus Sachsen stammte, war selbst in Wien niemanden aufgefallen - jedenfalls nicht während einer Rosenkavlier-Vorstellung . . .



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↑DA CAPO