Carlo BERGONZI
* 1924 + 2014
Er galt als der souveränste aller Verdi-Tenöre. Eleganz und Geschmeidigkeit für die lyrischen Partien waren ihm ebenso gegeben wie die nötige Kraft für dramatische Ausbrüche, die er nie forcierte, sondern immer noch mit den Mitteln des beherrschten Schöngesangs bewältigte. Bergonzis Manrico, live und im Studio. Auf der Studio-Aufnahme für die Deutsche Grammophon unter Tulio Serafin (mit Antonietta Stella, Giulietta Simionato und Ettore Bastianini) »pfeffert« Bergonzi das C, ein wenig später, als es Verdis Partitur suggeriert, dafür umso effektvoller.
Wo Verdi beides verlangt, war Bergonzi in seinem Element: Kein Konkurrent hat so lange in seiner Karriere mit solcher Sicherheit den Manrico gesungen. So gut wie jede Einspielung, die von Bergonzi in einer Aufführung des Trovatore erhalten blieb, kann im Finale III als Studienobjekt für souveränen Operngesang herhalten: in weitem Bogen phrasiert das »Ah, sì ben mio«, mit Verve bewältigte Gruppetti im »Did quella pira«, das ein leuchtendes hohes C krönt. (Daß dieses »Hohe C« hierhergehört, obwohl es nicht in der Partitur steht, wird bei kaum einem Tenor so klar wie bei Bergonzi, der den Ton »hat« wie kaum ein zweiter, vor allem keiner, der auch imstande war, auch die Arie zuvor so stilecht zu phrasieren...
Im Livemitschnitt von der Mailänder Scala 1964 (mit Gabriela Tucci, der Simionato und Piero Cappuccilli - unter Gavazzeni) gerät dafür die Arie zuvor spontaner als im Studio, phasenweise lyrisch inrovetiert, dann wieder ungemein schwungvoll in der Phrasierung. Die »Stretta« singt Bergonzi live zwar einen Halbton tiefer, aber mit hinreißendem Aplomb.
Es ist die ganze Szene, die hier Applaus erhält, nicht ein Einzelton.
Kaum ein Zweiter, der es in der Praxis so beherrschte, hat sich auch so viele Gedanken über das Singen gemacht wie Bergonzi und das in vielen Gesprächen und Essays zu formulieren versucht.
Theorie blieb bei ihm nichts. Er erfüllte auch die Ansprüche einer heiklen Partie zwischen Espressivo und galanter Linienführung, wie sie Donizetti von seinem Edgardo verlangt. Zwei Aufnahmen hat Bergonzi von Lucia di Lammermoor im Studio gemacht - beide Mal deklassiert er seine überforderte Titelheldin (einmal Anna Moffo, einmal Beverly Sills) um Längen...
Bergonzis vielleicht brillanteste Leistung war der Riccardo (bzw. König Gustav) in Verdis Maskenball. Hier verlangt der Komponist keine Überstrapazierung der Kraftreserven, sondern Gelenkigkeit und Eloquenz, hie und da sogar Witz und durchwegs geschmeidigste Phrasierung.
Das waren die Domänen dieses Interpreten.
Das »Lach-Ensemble« im zweiten Bild hat kaum jemand so spritzig-elegant gesungen, mit feinster Nuancierung bei Wahrung der großen Linie.
CD-Dokumente von der MET
Kaum einer seiner Zeitgenossen beherrschte seinen Tenor so souverän wie Bergonzi. Ihn hören wir in der verdienstvollen "Met"-CD-Reihe (bei Sony) in La Boheme und da ist wenig von jener dickflüssigen, eher dem Verismo eines Mascagni adäquaten Gangart, die man heutzutage bei Puccini pflegt. Bergonzis schlanke Stimme bringt auch Nebennoten, die sonst gern in großzügigen A-Fresco-Bögen verschwinden, deutlich zum Klingen.Das hat mancher Kommentator als Mangel an innerem Engagement gedeutet.
Wie kleinlich und oberflächlich!
In Wien bei Preiser erschienen Aufnahmen, die demonstrieren, wie dieser Künstler seine Stimme von der Eloquenz, die Verdi im Maskenball fordert, bis zu den heldischen Tönen des Bajazzo führt, wie expressive Kraft ohne Gewaltanwendung frei werden kann. In gewisser Weise nähert sich Bergonzi den tenoralen Anforderungen von der entgegengesetzten Seite wie Domingo. Das Ergebnis zählt - und (in beiden Fällen wohl auch): die erstaunliche Dauer der Karriere.