Myra Hess

1890-1965

Myra Hess stammte aus einer streng gläubigen jüdischen Einwandererfamilie, studierte gegen den Willen ihrer Eltern und wurde zu einer Ikone der englischen Kulturgeschichte, indem sie am Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Serie von Mittagskonzerten in der Londoner National Gallery etablierte, die bis 1946 konsequent durchgehalten wurde, um Zeichen des Durchhaltewillens aller kultivierten Menschen in Zeiten der Barbarei zu setzen. Fast 1700 solcher Veranstaltungen wurden abgehalten.

Hess war freilich nicht nur als Organisatorin, sondern vor allem als Pianistin aktiv an dieser Konzertserie beteiligt und konnte sich damit einen Namen als hochsensible Interpretin machen. Ins Schallplattenstudio war sie schon Anfang der Dreißigerjahre gegangen, um mit der Geigerin Jelly d'Aranyi kammermusikalische Aufnahmen zu machen. Eine federleichte, doch gehaltvolle Wiedergabe von Schuberts B-Dur-Klaviertrio steht am Beginn von Hess' medialer Kammermusik-Karriere. In der Folge entstand für die amerikanische Columbia unter anderem auch eine dichte, geistreich differenzierte Einspielung von Beethovens Cellosonate in A-Dur mit Emanuel Feuermann (1937). Im übrigen gibt es nicht allzuviele Aufnahmen der grooßen Künstlerin.

Erhalten haben sich auch hörenswerte Livemitschnitte von klassischen und romantischen Klavierkonzerten unter bedeutenden Dirigenten: Beethovens c-Moll-Konzert wurde 1944 in New York unter Toscanini aufgenommen, Brahms' B-Dur-Konzert 1941 mit Bruno Walter.

In späten Jahren musizierte die Künstlerin, längst geadelt zu Dame Myra Hess beim Festival von Pau Casals in Perpignan, wobei der Cellist ans Dirigentenpult wechselte, um die Pianistin bei Mozarts Jenehomme-Konzert zu begleiten. Im Verein mit Isaac Stern spielten Casals und Hess in jenem Sommer auch Brahms' H-Dur-Trio. Auch davon hat sich eine Aufnahme erhalten.

Als Arrangeurin brachte Hess einige viel gespielte Bearbeitungen barocker und klassischer Werke heraus, am beliebtesten wurde jene von Jesus bleibet meine Freude aus Bachs Kantate Herz und Mund und Tat und Leben, die unter anderem deshalb Legendenstatus errang, weil → Dinu Lipatti dieses Stück anläßlich seines letzten Konzerts, schon von schwerer Krankheit gezeichnet, als Abschiedsgruß spielte. Myra Hess selbst hat ihr Arrangement dreimal, 1928 in ihrer allerersten Solo-Studiositzung, 1940 und 1957, im Studio eingespielt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden als Livemitschnitt von Konzertauftritten der Künstlerin unter anderem ein Recital mit Violinsonaten von Beethoven, Schubert und Brahms mit Isaac Stern sowie Beethovens Viertes Klavierkonzert unter Sir Adrian Boult.

Von Robert Schumanns Klavierkonzert hat Myra Hess zwei Studioaufnahmen gemacht, die erste 1937 unter Walter Goehr (bei Naxos wieder greifbar), die zweite 1952 unter Rudolf Schwarz mit dem Philharmonia Orchestra.

Eine Beethoven-Platte mit den Sonaten op. 109 und 110 (Naxos) und ein Schumann-Recital mit den Symphonischen Etüden und dem Carnaval runden das schmale, aber musikalisch gewichtige Hess-Paket der derzeit greifbaren Aufnahmen ab.

↑DA CAPO