Sein erstes professionelles Konzert gab das »Wunderkind«aus Wien in Kopenhagen. Da war der Schüler Otakar Ševčíks gerade einmal neun Jahre alt. Aber die klugen Eltern - die Mutter hatte die ersten Geigen-Stunden gegeben - wußten eine Kinder-Karriere zu verhindern. Wolfgang Schneiderhan hat, im Gegenteil, eine solide Musiker-Laufbahn eingeschlagen und trotz seiner allseits anerkannten virtuosen Fähigkeiten, seiner Intonations-Sicherheit und makellosen Technik zunächst als Orchester- und Kammermusiker gewirkt.
Konzertmeister und Solist
Solistisch ist der Konzertmeister der Wiener Symphoniker (1932- 1937) immer nur nebenher auf dem Podium erschienen, immer aber unter großem Jubel. Schneiderhan spielte mit eminenter Sicherheit, was ihn oft ein wenig kühl-distanziert wirken ließ. Aber seine Interpretationen waren von hoher Innenspannung - bei gleichzeitiger geigerischer Entspanntheit - gekennzeichnet; ebenso von klarer rhythmischer Definition. Eine Phrase zu Ende zu denken, formale Einheit über viele Takte hin zu wahren, die Musik zu entwickeln, war ihm gegeben - und machte ihn unter anderem auch zu einem exzellenten Quartett-Primarius: Nach seinem Übertritt zu den Wiener Philharmonikern gründete er ein Quartett-Ensemble, das seinen Namen trug. Mit den philharmonischen Kollegen Otto Strasser, Ernst Morawec und Richard Krotschak schrieb man Interpretationsgeschichte: Der wienerische Ton, den die vier ins internationale Musikleben trugen, ohne viel romantisierenden Nachdruck und mit einem Brio, das von innen kam, nicht der Musik oktroyiert wurde, galt bald als legendär.
Daß Schneiderhan bei den Philharmonikern den Posten eines Konzertmeisters übernahm, der wegen der Tatsache ausgeschlossen worden war, daß er keinen »Ariernachweis« erbringen konnte (→ Ricardo Odnoposoff, 1914 - 2004) kreiden nachgeborene Historiker dem Geiger an. An der musikalischen Exzellenz Schneiderhans bestand freilich nie ein Zweifel.
Kammermusik und Novitäten
Nach 1945 war Schneiderhan auch in Luzern aktiv, gründete ein Kammerorchester unter dem Namen Festival Strings, das zahlreiche Schallplatten herausbrachte und um die ganze Welt reiste.
Als Kammermusiker arbeitete Schneiderhan nach dem Tod Georg Kulenkampffs mit dessen Triopartnern Enrico Mainardi und Edwin Fischer zusammen. Der Solist Schneiderhan war von Publikum und Kritik bald auf die Wiener Klassik festgelegt und hier wiederum auf Mozarts A-Dur-Violinkonzert, das er tatsächlich wunderbar musiziert hat - Otto Klemperer soll einmal angesichts eines vor dem Wiener Musikverein parkenden, sündteuren Autos, aus dem er Schneiderhan aussteigen sah, geätzt haben:
... und das alles mit Köchel 219?
Dabei haben zeitgenössische Komponisten für ihn komponiert, wobei auch Schneiderhans Herzenspartnerschaft inspirierend gewirkt haben mag: Für ihn und seine Ehefrau, die Sopranistin Irmgard Seefried, entstanden Werke wie Hans Werner Henzes Nachtstücke und Arien oder Frank Martins Marien-Triptychon.
Wolfgang Schneiderhans Klassiker-Einspielungen gelten dank seiner klaren, sicheren, niemals forcierenden Tongebung als maßstabsetzend. Mit dem betont zurückhaltenden, dezenten, aber glasklar artikulierenden Carl Seeman hat Schneiderhan die Beethoven-Sonaten aufgenommen, die 2020 in einer Neuedition auf CD und mit einer BluRay herauskamen, die hochauflösende Digital-Files enthält, die mittlerweile auch als Downloads erhältlich sind. Die Aufnahmen der Mozart-Violinkonzerte mit den Berliner Philharmonikern läßt ebenfalls hören, wie dieser Geiger Ausdruckspotential aus der musikalischen Phrase heraus zu entwickeln verstand. Nichts wirkt »aufgesetzt«, die Musik fließt natürlich und frei, immer aber eloquent, beredt, nuancenreich.
Wer diesen Geiger der kühlen Distanz bezichtigt, muß nur seinen »Einstieg« ins Brahms-Violinkonzert in der leidenschatlich durchglühten Aufnahme unter Karl Böhm mit der Staatskapelle Dresden hören, um eines bessern belehrt zu werden. Hier gelang eine der besten Wiedergaben dieses Werks, die auf Tonträgern greifbar sind: die hochexpressiven, nervösen Geigen-Soli klären sich nach und nach zu größter, behutsam modellierender Hingabe, bis das Hauptthema lyrisch und ruhig strömend im Dialog des Solisten mit dem Orchester wiederkehrt.