Gioconda de Vito war in ein undderselben Saison auf den Berliner Konzerpodien die Solistin im Bruch-Violinkonzert, einmal unter Wilhlem Furtwängler, einmal unter der Leitung von Furwänglers Antipoden Herbert von Karajan. Das war Ende der Dreißigerjahre und man hat der Künstlerin später verübelt, daß sie in jenen Jahren überhaupt in Deutschland konzertiert hat - und daß man bei dieser Gelgenheit nicht etwa das Mendelssohn-Konzert gegeben hat, das wohl beide Dirigenten lieber aufs Programm gesetzt hätten, das aber damals verboten war . . .
Gioconda de Vito war eine der wenigen bedeutenden ausländischen Geiger, die nach dem rassistisch motivierten Aderlaß im NS-Staat aufzutreten bereit waren. In Italien war sie damals bereits hoch angesehen. Sie war eine Mittzwanzigerin gewesen, als man ihr eine Professur an der römischen Accademia di Santa Cecilia anbot.
Nach ersten revanchistisch motivierten Durchhängern ging die Karriere der Künstlerin aber auch nach 1945 weiter. Vor allem in ihrer Wahlheimat England war sie ein unangefochtener Star.
Zu den herausragenden Dokumenten von Gioconda de Vitos Kunst gehören die ungemein harmonischen Duoaufnahmen, die sie mit Yehudi Menuhin gemacht hat.
Ganz außerordentlich ist der Livemitschnitt einer Aufführung des Mendelssohn-Konzerts unter Furtwängler, aufgezeichnet von der RAI Turin, Anfang der Fünfzigerjahre. Er war lange Zeit nur in einer völlig unbrauchbaren Kopie greifbar, erschien aber zuletzt in technisch erträglicher Version. Da hört man das beredte, ungemein differenzierte Spiel de Vitos, deren Sinn für lyrische Melodik legendär war - und zwar, wie hier gut zu studieren ist, weil sie nicht einfach besinnungslos Legatobögen über lange Strecken wölbte, sondern innerhalb der melodischen Entwicklungen dynamisch und agogisch, vor allem aber rhythmisch fein differenzierte. Zu jeder Gesangsmelodie gehört ja auch ein (imaginärer) Text, der ihr Bedeutung verleiht. Das wird in de Vitos eloauentem Spiel immer hörbar, auch dort, wo - wie hier im langsamen Satz - wirklich weit
ausgreifende, über viele Takte nahtlos gespannte Atemzüge gefragt sind. Bei de Vito lebt jeder Ton, wobei sie Vibrato und Portamento höchst geschmackvoll einsetzt.