Artur Rodzinski
1892 - 1958
Artur Rodzinski war ein Altösterreicher, der in Split als Sohn eines polnischen Offiziers der k. k. Armee zur Welt kam. In Wien wurde Rodzinski ausgebildet. Er studierte Musik an der kaiserlichen Akademie und die Juristerei an der Universität. Zum Doktor promoviert, diente er während des Ersten Weltkriegs in der österreichischen Armee und kämpfte an der russischen Front. Verwundet, kehrte er nach Wien zurück, um bei → Franz Schalk das Kapellmeisterhandwerk zu studieren. Parallel dazu perfektionierte er sich als Pianist (bei Emil von Sauer) und absolvierte die Kompositionsklasse von Franz Schreker. Sein erstes Engagement hatte er als Kapellmeister in Lemberg, von wo aus er nach dem Krieg nach Warschau ans Opernhaus ging. Dort entschied sich sein Schicksal, als Leopold Stokowski eine von Rodzinski dirigierte Aufführung von Wagners Meistersingern von Nürnberg hörte und den Kollegen vom Fleck weg in die USA engagierte.Als Orchestererzieher schätzen Rodzinski sämtliche Kollegen. Viele profitierten von seiner Aufbauarbeit. Es war kein Zufall, daß Arturo Toscanini Rodzinski mit dem Engagement der Musiker für sein NBC-Orchester beauftragte und ihn auch die ersten Proben leiten ließ. Zuvor hatte Rodzinski bereits das Cleveland Orchestra aus einer künstlerischen Talsohle herausgeführt und zu einem der führenden Klangkörper der USA gemacht - eine Arbeit, auf der George Szell sein legendäres Clevelander Imperium aufbauen konnte.
Rodzinski war nach dem Abgang von John Barbirolli und zwei führungslosen Spielzeiten auch für den künstlerischen Wiederaufstieg von New York Philharmonic verantwortlich. Das Orchester war seit dem Abgang Toscaninis ziemlich verschlampt - Rodzinski spielte seine autoritäre Karte aus und schlug gleich 15 Musiker vor, die zu entlassen waren. Toscanini, diesbezüglich nicht gerade als zart besaitet bekannt, studierte Rodzinskis »schwarze Liste«, befand die Entscheidungen prinzipiell für gut und richtig, hätte sich allerdings dafür eingesetzt, die Musiker nach und nach zu entlassen; Rodzinski bestand auf deren sofortigen Abschied.
Solche Aktionen beförderten seinen Ruf als Diktator. Doch der Kritiker Virgil Thomson bestätigte bald: Rodzinski hätte mehr für das New Yorker Orchester getan als jeder andere Dirigent zuvor. Besonders menschenfreundlich agierte Rodzinski im übrigen auch sonst nicht. Leonard Bernstein, der Rodzinskis Assistent wurde, erzählte absonderliche Geschichten von seinem Chef, obwohl dieser ihn nach Kräften förderte. Vor allem die scheinbar an den Haaren herbeigezerrte Anekdote, derzufolge Rodzinski stets eine geladene Pistole mit sich trug, sollte sich später sogar als wahr herausstellen: Rodzinskis Frau gab in einem Interview in den Siezbigerjahren die Bestätigung für diese Marotte ihres Mannen - neben manch anderen . . .
Artur Rodzinski hat einige Aufnahmen hinterlassen, die seinen Ruf als glänzender Orchester-Dompteur bekräftigen. Live mitgeschnitten wurde etwa 1944 eine energetische Wiedergabe des Brahms-Violinkonzerts mit Bronislaw Huberman in New York. Wenig später wurden noch Beethovens Drittes Klavierkonzert und Brahms d-Moll-Konzert mit Rudolf Serkin mitgeschnitten, zwei → atemberaubende Interpretationen.
In der Clevelander Zeit nahm Rodzinski unter anderem eine bedeutende Wiedergabe der → Fünften Symphonie von Jean Sibelius auf, die diese Partitur in höchster Transparenz hörbar und durchaus als Werk der musikalischen »Moderne« begreiflich macht. In Chicago, wo Rodzinski eine kurze, aber höchst effektive Zeit verbrachte, entstanden 1947 bemerkenswerte Einspielungen von Richard Strauss' Also sprach Zarathustra und Mendelssohs Schottischer Symphonie.
Zu den herausrgenden Schallplatten, die er im Studio produzierte, gehören (in späteren Jahren) etwa das Brahms-Violinkonzert mit → Erica Morini oder eine energiegeladene Wiedergabe von Beethovens Fünfter Symphonie mit einem aus Londoner Orchestern (vor allem dem Roayl Philharmonic) ad hoc zusammengestellten Ensemble. (Westminster) In dieser Konstellation entstand mit Morini auch eine Aufnahme des Tschaikowsky-Konzerts, weiters die Tschaikowsky-Symphonien IV bis VI und eine exzellente Gesamtaufnahme der Ballettmusik zum Nußknacker, die dank Rodzinskis unsentimentalem Zugriff jeglichen Kitsch-Verdacht von dieser Musik nimmt.
In der europäischen Spätzeit des Dirigenten entstanden auch hörenswerte Richard-Strauss-Aufnahmen, nicht zuletzt die von ihm mit dem Placet des Komponisten arrangierte Rosenkavalier-Suite, die trotz ihrem etwas brachialen Schluß zur gebräuchlichen Konzert-Version dieser Musik geworden ist.
Bei Sony erschien eine Box mit den Aufnahmen, die Rodzinski unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit New York Philharmonic gemacht hat, auch darunter einige Sternstunden analytisch klaren, technisch perfekten, aber durchaus ausdrucksvollen Orchesterspiels: eine grandiose Vierte Symphonie von Jean Sibelius und eine nicht minder beeindruckende Fünfte Symphonie von Sergej Prokofieff, die zum Zeitpunkt der Aufnahme brandneu war.
Kuriosität am Rande: Die Novität wollten zwei der führenden Maestri der USA sofort für Schellack-Platten aufnehmen: Serge Kussewitsky war chronologisch gesehen früher an der Reihe, doch das Produktionstempo der Firmal Columbia sorgte dafür, daß die wenig später entstandene Einspielung durch die New Yorker Philharmoniekr unter Rodzinski zuerst in den Handel kam . . .
Apropos Novitäten: In seiner Zeit als Leiter des Cleveland Orchestra machte Rodzinski (ebenfalls für Columbia) die ersten Aufnahmen der zwöltönigen Violinkonzerte von Arnold Schönberg und Alban Berg - mit Luis Krasner. Die CD-Neuauflage (Naxos) koppelt das Berg-Konzert mit einer späteren Aufnahme des Schöbergs-Konzerts unter Mitropoulos.