Philippe Jordan in Paris
Mit Rheingold feierte Philippe Jordan 2010 seinen triumphalen Einstand als Chefdirigent an der Pariser Oper.
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat es gedauert. 1957 hat die Opera national de Paris zuletzt Wagners "Ring des Nibelungen" gezeigt. Zwei Jahre zuvor hatte Hans Knappertsbusch die Tetralogie erstmals in der deutschsprachigen Originalversion im Palais Garnier dirigiert. In den Siebzigerjahren bleib der Versuch einer Neudeutung, der mit einem von Peter Stein inszenierten, von Sir Georg Solti dirigierten "Rheingold" begann, auf halbem Wege stecken.
Nun feierte Philippe Jordan mit dem "Rheingold" seinen triumphalen Einstand als Chefdirigent in der Opera Bastille. Selbst das bisschen Widerspruch, das sich gegen Regisseur Günter Krämer und sein Produktionsteam regte, ging im lauten Applaus des Pariser Publikums unter. Für den Wiener Zaungast bemerkenswert: dass ein Regisseur, der an der Staatsoper vor der Statik von Wagners "Tristan" vollständig kapitulieren musste, mit dem bewegteren "Rheingold" keine Mühe zu haben scheint. Krämers Inszenierung fließt stetig wie der Rhein. Auch die zahlreichen Mäander, die erzählerischen Volten, die sich der Regisseur gönnt, halten die Handlung nicht auf, definieren sie vielmehr mit starken, zuweilen sogar poetischen Bildern.
Ein Bewegungschor, perfekt gedrillt, schafft, klug beleuchtet, mit seinen Händen Wellen, um die Rheintöchter zu tragen, aber auch allerlei Schlingpflanzen, in denen sich Alberich verheddern kann, wenn er den Nixen nachstellt. Der "Chor" verwandelt sich dann in den Bautrupp der Firma "Fasolt & Fafner", aber auch in die geknechteten Nibelungen, die unter einer gewaltigen Goldbearbeitungsmaschine ihren Frondienst verrichten. In den symbolträchtigen Dekors von Jürgen Beckmann können die Sänger nahezu sämtliche Wagner'schen Bewegungsvorschriften getreulich umsetzen. Die Götter thronen auf einer riesigen Weltkugel, um von dort aus die gigantische Rampe Walhalls zu beschreiten - eine Turnerriege hinterdrein, aus Fraktur-Letter-Skulpturen das Wort "Germania" bildend. Die Anspielungen auf Hitlers Zukunftsfantasmagorie konterkarieren nicht nur der im versengten Anzug über die Bühne irrlichternde Loge, sondern auch die Erinnerung an die schwarz vermummten Parteigänger der Riesen, die mit roten Fahnen im zweiten Bild die "Germania"-Visionen schon einmal ins Straucheln bringen. Wo Wagners mythische Erzählung brutal wird, greift auch die Personenführung zu grellen Mitteln - und lässt Wotan, um an den Ring zu gelangen, gleich dem Alberich einen Finger abhauen.
Musikalisch geht es weicher zu: Philippe Jordan setzt auf die quasiimpressionistischen Farbwirkungen der Partitur, lässt Streicher und Holzbläser mit Klängen zaubern. Dem Textfluss macht der Maestro Konzessionen, erlaubt sanft fließende Modifikationen des Tempos und verzichtet auf die scharfe Herausarbeitung rhythmischer Details: Das Nibelungen-Motiv, dessen Insistenz einst einen Antonin Dvorak zur Verzweiflung brachte (und nach dem ersten "Siegfried"-Akt aus dem Bayreuther Festspielhaus trieb), verliert unter den Händen der französischen Musiker seine aggressive Prägnanz, ist eines von vielen Elementen auf der reichen Palette tönender Zeichen.
Den Sängern ist Jordan ein guter Anwalt: Die gesamte, durchwegs gute, teils sogar exzellente Besetzung kann sich vokal bestens entfalten. Nebst Falk Struckmanns bekannt virilem Wotan gewinnen Figuren wie der beißend scharf charakterisierende Alberich Peter Sidhoms oder die noble, endlich einmal nicht keifende Fricka von Sophie Koch imponierendes Profil. Auch der stimmlich nicht ganz taufrische Loge Kim Begleys nutzt seine Chancen in dem von Dirigent und Regisseur großzügig definierten Raum virtuos. Hörenswert in ihrem wohligen Wohlklang die Erda von Qiu Lin Zhang. Hoch gespannt nach diesem gelungenen "Vorabend" sind die Erwartungen für die "Walküre", die im Mai folgt.