Philippe HERREWEGHE

* 1947

Zwar soll Philippe Herreweghe auf Wunsch seines Vaters in dessen Fußstapfen treten und studiert Medizin, um sich bald als Psychologe zu spezialisieren. Aber die Musik läßt ihn nicht los, seit er als Jesuitenzögling in Gent zum Assistenten des Knabenchorleiters bestellt wird.

So betreibt Herreweghe die Kunst der Ensmbleleitung wie das Orgel- und Klavierspiel neben seinem Medzinstudium konsequent weiter.

1969 gründet er das Collegium Vocale Gent, mit dem er versucht, die Erkenntnisse seiner musikhistorischen Studien in die Realität umzusetzen. Die gemeinsam erarbeitete Aufführung von Bachs Johannes-Passion erregt das Interesse der Fachwelt, unter anderem Gustav Leonhardt auf den jungen Chorleiter aufmerksam.

1977 ist das Wendejahr in Herreweghes Karriere: Mit Philippe Beaussant gründet er in Paris die Chapelle Roayale, dem sich bald auch ein Orchester hinzugesellt, in Lüttich übernimmt er die Leitung des philharmonischen Chors. Leonhardt bezieht Herreweghe in die Gesamtaufnahme der Bach-Kantaten mit ein, die er im Verein mit Nikolaus Harnoncourt herausbringt (Teldec).

Damit ist Herreweghe im Zentrum der Pflege des sogenannten Originalklangs angekommen. GLeichzeitig beschäftigt sich Herreweghe aber auch mit der zeitgenössischen Musik und dirigiert auch Uraufführungen - etwa von Pascal Dusapins Medeamaterial (1992).

Als maßstabsetzend wird Herreweghes Aufnahme von Bachs H-Moll-Messe gefeiert, spätestens in den Jahren um 2015 hat sich der Dirigent dann auch das romantische Repertoire erobert und bringt auf dem eigenen Label Aufnahmen von Schubert-, Schumann- und Brahms-Symphonien heraus, doch bleibt das angesichts der großen Konkurrenz eine Liebhaberei im Verhältnis zu den vollendet ausbalancierten Gestaltungen von älterer Musik, etwa der Madrigale von Carlo Gesualdo, die zur selben Zeit auf den Markt kommen und die in ihrer klanglichen Vollkommenheit keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Das oft hart bis an die Grenzen der »Atonalität« vorangetriebene, extravagante Ausdrucksstreben des Fürsten von Venosa leuchten Herreweghes Sänger bis in die feinste harmonische Raffinesse aus.


Dank der phänomenalen Chor-Leistung gelang Herreweghe freilich auch die vielleicht beste Aufnahme von Anton Bruckners über weite Strecken a cappella gesetzter, heikler Messe in e-Moll.


DA CAPO