John Eliot Gardiner

über die Lehár-Aufnahmen in Wien

Jänner 1994
13.1.1994 Kultur

»Tschuschen« für die Wiener Philharmoniker

John E. Gardiner hat, wiewohl hierzulande vor allem für Bach-Interpretationen gerühmt, die Philharmoniker mit Franz Lehár erobert; und ihnen »Die Wiener Tschuschenkapelle« als neue Kollegen vermittelt.

Die lustige Witwe steht auf dem Programm: Den heute aktiven Philharmonikern ist diese Musik zwar aus der Praxis überhaupt nicht bekannt. Aber den Stil beherrschen sie selbstverständlich im Schlaf. Gardiner, Spezialist für Aufführungen im »Originalklang«, hat sich nicht zuletzt deshalb Lehár für sein philharmonisches Debüt im zum Plattenstudio umgebauten Musikverein ausgesucht.

»Man hat mich zuerst um Konzerte mit Mozart und Haydn gebeten. Aber das habe ich abgelehnt. Ich weiß, wie diese wunderbaren Musiker unter Böhm und Karajan oder Muti Mozart gespielt haben. Das ist gar nicht mein Stil. Ich wollte lieber Zemlinsky mit ihnen machen. Oder eben Lehár.« Nun, nach den guten Erfahrungen mit der Lustigen Witwe, ist Gardiner zuversichtlich, »daß wir uns auch bei Mozart gut verstehen werden.« Ein erster Versuch im Verein mit András Schiff ist für die Mozartwoche 1995 in Salzburg bereits avisiert.

Der philharmonische Geschäftsführer, Walter Blovsky, gab sich nach den Leh'ar-Aufnahmen begeistert: »Die zweite Entdeckung, kurz nach Simon Rattle. Mit beiden Musikern sind wir für die Zukunft intensiv im Gespräch.« Faszinierend an Gardiner sei nicht zuletzt, »daß man mit diesem Mann, der doch als Barock-Spezialist gegolten hat, über ein breitgestreutes Repertoire von Bach bis Zemlinsky reden kann.« Der Professionalismus Gardiners - »von der vielzitierten Wiener Schlamperei habe ich nichts gemerkt«, - hat auch die Musiker sofort umgarnt. Die Aufnahmearbeit gedieh in harmonischer Atmosphäre. Und weil alles "original" sein muß, hat man auch für die von Leh'ar vorgeschriebenen Tamburizza-Klänge auf dem »pontevedrinischen Fest« die idealen Instrumentalisten gefunden: Erstmals musizierten also die Philharmoniker mit der Wiener Tschuschenkapelle. Auch das in größter Harmonie. »Die sind übrigens auch ein reiner Männerverein«, kommentierte ein Philharmoniker schmunzelnd.

Die »Presse« durfte bei den Aufnahme-Sitzungen zum Finale des ersten Aktes »kiebitzen«: Boje Skovhus gab da an der Seite Cheryl Studers und Barbara Bonneys herrlich-timbrierte Töne im Ballsirenenwalzer von sich, die Philharmoniker realisieren die farbenprächtig orchestrierten Leh'ar-Töne im von Gardiner geforderten, sehr raschen, aber vielfältig nuancierten Tempo. Und verlieren trotz Rasanz nichts an geigerischer Süßigkeit. Im Gegenteil!

Dazu Gardiners phänomenaler Monteverdi-Chor, der auf Geheiß des Maestros den »Damenwahl«-Chor zuerst einmal a cappella intoniert. Es tönt wie ein Jägerchor, aber in sensationeller Perfektion. Sobald die Philharmoniker ihre duftigen Begleitstimmen dazu federn lassen, ist die Lehár-Welt in Ordnung. Sie wird es auch auf der Platte sein, wenn auch auf für Operettenfreunde in vielen Momenten verblüffend »neuer« Weise.

↑DA CAPO